MEDIAkompakt Ausgabe 30
Die Zeitung des Studiengangs Mediapublishing an der Hochschule der Medien Stuttgart - www.mediapublishing.org
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DIE
DIE
ZEITUNG
ZEITUNG
DES
DES
STUDIENGANGS
STUDIENGANGS
MEDIAPUBLISHING
MEDIAPUBLISHING
DER DER HOCHSCHULE HOCHSCHULE DER DER MEDIEN MEDIEN STUTTGART STUTTGART
AUSGABE 07/2021 15.07.2021
AUSGABE 02/2021 03.07.2021
MEDIAPUBLISHING
media
kompakt
BOLD
WESHALB DIE BURMESEN NICHT
SCHWEIGEN
S.16
BOLD MOVE -
MEINE MUTIGSTE ENTSCHEIDUNG
S.18
CANCEL CULTURE
S.33
Utopie oder Ausweg Seite 4-5
Angsterfüllt? Angstbefreit! Seite 10-11
„Die wollen doch nur Sex!“ Seite 28-29
media
kompakt
2 BOLD
mediakompakt
Das Ich ist tot
Jeder Mensch kämpft für eine Leidenschaft und mit ihm
ein Kollektiv, das sie teilt. Doch die wichtigste Triebfeder
einer erfolgreichen Bewegung, das Individuum, stirbt.
VON FLORIAN ELLENBERGER
Hat man sich einer Leidenschaft verschrieben,
wird diese unterschiedlich
streng ausgelegt – je nach persönlicher
Einstellung. Egal, ob es
sich um Veganismus, Umweltschutz,
Feminismus, Soziale Gerechtigkeit oder
Wertschätzung handelt: Wir suchen das Gespräch
und wollen andere von unserer Leidenschaft
überzeugen. Mittlerweile ist es Unsitte, nicht als
Individuum aufzutreten, sobald man an einer Diskussion
teilnimmt, die eben jene Leidenschaft betrifft.
Das Ich stirbt – stattdessen berufen wir uns
auf gesichtslose Kollektive, sobald wir unsere
Bewegung in Gefahr sehen. Es heißt nicht mehr:
Diese Sache beleidigt mich! Sondern: Diese Sache
beleidigt alle!
Dabei teilen die übrigen Mitglieder dieser Kollektive
die eigene Leidenschaft meist nur oberflächlich.
Der Rest ist Auslegungssache – wie sehr
man bereit ist, für eine Leidenschaft zu kämpfen,
ist etwas zutiefst Persönliches. Die Kollektive verleihen
dem eigenen Wort zwar Gewicht, wenn
man sie mit einbezieht. Doch das vom Ich genutzte
Wir zwingt jedem, der diesem Kollektiv angehört,
die eigene Meinung auf. So wird aktuell jeder,
der Kritik an der Regierung äußert, von Querdenkenden
in die eigene Echokammer einverleibt.
Angehörige ethnischer Minderheiten oder
anderer Hautfarbe entscheiden nicht mehr selbst,
was sie als rassistisch oder verletzend empfinden –
das wird einem von nicht Betroffenen abgenommen,
die für alle anderen sprechen wollen.
Oft ist es ein Trugschluss, der einen verleitet,
sich des Kollektivs bedienen. Man ist überzeugt,
mit seinen Ansichten auch die Ansichten jedes
anderen zu vertreten, der ähnliche Merkmale aufweist.
Dabei führt diese Art der Bevormundung
eher zu einer instinktiven Abwehrreaktion als zu
Zustimmung. Hinzu kommt die Angst vor Kritik
oder gar Hass. Sobald man (über Social Media) seine
Meinung zu einem Thema äußert, läuft man
Gefahr, kritisiert zu werden oder sich gar rechtfertigen
zu müssen. Statt nur für sich selbst zu sprechen,
bezieht man lieber das Kollektiv mit ein.
Bild: Unsplash
Vorwiegend ist das eine Methode von Radikalen
– je fragwürdiger die eigenen Ansichten, desto
eifriger bezieht man ein potenzielles Kollektiv mit
ein. So entsteht der Eindruck, man spräche für
eine Mehrheit, obwohl es sich um eine Einzelmeinung
handelt. Auch Anhänger vernünftiger Interessengruppen
handeln inzwischen so. Ein Fehler
– so entwertet man die eigene Leidenschaft und
spaltet eine mächtige Bewegung in kleinere, oft
radikalere Gruppen. Diskussionen werden aggressiver
und verlieren sich im Klein-klein. Gemeinsame
Ziele rücken in den Hintergrund.
Verschärft wird all das durch einen fehlenden
persönlichen Diskurs während der Pandemie. Die
Debattenkultur hat sich noch stärker als zuvor in
die sozialen Medien und das Internet zurückgezogen,
wo eine Meinung am besten so kurz und so
radikal wie möglich zu sein hat. Sonst beträgt die
Halbwertszeit selten mehr als fünf Minuten. Radikaler
als Ich ist ein Wir allemal.
Nüchtern betrachtet ist auch das ein Trugschluss:
Der Computerlinguist Chenhao Tan
wertete 1.114.533 Beiträge der Meinungs-Portal
Change my View aus. Vor allem zwei Faktoren
sorgen demnach dafür, dass wir unsere eigenen
Ansichten aufgrund der Meinung eines anderen
ändern: Je länger die Beiträge, desto besser meist
die Argumentation. Einen positiven Effekt hatte
zudem laut Tan die häufige Verwendung des
Pronomens Ich.
Sollten wir uns also nicht fragen, ob es der
eigenen Leidenschaft schadet, wenn man sich zu
einem kollektiven Sprachrohr aufschwingt? Andere
Betroffene werden ignoriert, die eigene Meinung
abgewertet. Bei Außenstehenden lösen vermeintlich
kollektive Ansichten oft nur Kopfschütteln
aus. Ein Wir kann nur überleben, wenn das
Ich seinen rechtmäßigen Stellenwert behält. Ein
starkes Kollektiv besteht aus starken Individual -
meinungen, denn es hat gelernt, mit unterschiedlichen
Ansichten umzugehen und dennoch für
eine gemeinsame Sache zu kämpfen.
I M P R E S S U M
mediakompakt
Zeitung des Studiengangs Mediapublishing
Hochschule der Medien Stuttgart
HERAUSGEBER
Professor Christof Seeger
Hochschule der Medien
Nobelstraße 10
70569 Stuttgart
REDAKTION
Reimund Abel (v.i.S.d.P.), abel@hdm-stuttgart.de
ANZEIGENVERKAUF
Stella Liebendörfer, Lea Matejka, Marine Morbedadze,
Anna Tverdovska
PRODUKTION
Chantal Augello, Vanessa Bauer, Clara Beumer, Sebastian
Birkel, Vivien Büchele, Daniel Cecura, Sophia Christ, Sina
Cikar, Mara Class, Isabell de la Rosa, Florian Ellenberger,
Laura Evers, Sarah Guira, Sina Kolsch, Charlotte Kovac,
Carolin Lehmann, Laura Maier, Lisa Mente, Lisa Meyle,
Sven Neidinger, Vanessa Olariu, Michelle Rapp, Joanna
Rietl, Mona Schendera, Lea Schlaich, Vivien Staib, Lea
Sunic, Nadine Trommeshauser, Sofia Wilhelm
DRUCK
Z-Druck Zentrale Zeitungsgesellschaft GmbH & Co. KG
Böblinger Straße 70
71065 Sindelfingen
ERSCHEINUNGSWEISE
Einmal im Semester zur Medianight
Copyright
Stuttgart, 2021
02/ 2021 BOLD 3
Wenn Mut
zur Gefahr wird
Bild: Unsplash
Immer wieder ist zu hören, es braucht mehr Zivilcourage. Aber was, wenn genau diese Zivilcourage
einen selbst in Gefahr bringt? Das muss nicht sein. Sofern ein paar Regeln beachtet werden.
VON SEBASTIAN BIRKEL
Die Nachrichten sind voll davon: Unsere
Gesellschaft benötigt mehr Zivilcourage,
heißt es da, das fordern
auch Aktionsbündnisse oder Bürgerinitiativen.
Doch leider haben einige
Fälle in der Vergangenheit gezeigt, dass gerade
dieses Verhalten zu einer nicht unerheblichen Gefährdung
der eigenen Gesundheit, oder in Extremfällen
des eigenen Lebens führt.
Gerade der Fall von Dominik Brunner führt
dies deutlich vor Augen. Brunner war ein Manager
der am 12. September 2009 mutig einschritt, als
eine Gruppe Männer mehrere Jugendliche an einem
Münchner S-Bahnhof bedrohte. In der daraus
resultierenden körperlichen Auseinandersetzung
wurde Dominik Brunner schwer verletzt,
wenig später verstarb er aufgrund eines Herzstillstands
in einem Krankenhaus. Der tragische Fall
befeuerte damals die Diskussion über die Sicherheit
in öffentlichen Verkehrsmitteln – und wie
weit Zivilcourage gehen sollte.
Die beiden Täter wurden zu Jugendstrafen von
neun Jahren und zehn Monaten, beziehungsweise
zu sieben Jahren verurteilt. Vor kurzem wurde
der inzwischen wieder entlassene Haupttäter
erneut zu einer Haftstrafe wegen Verstoß gegen
Bewährungsauflagen verurteilt. Dieser Fall zeigt
deutlich, wie gefährlich Zivilcourage werden
kann, wenn die Situation außer Kontrolle gerät.
Daher erscheint es nicht verwunderlich, dass in
den letzten Jahren die Bereitschaft zur Zivilcourage
eher gering in der Bevölkerung ausgeprägt war.
Dies hängt damit zusammen, dass die meisten
Menschen seltener zu Zivilcourage bereit sind,
wenn ihnen unbekannte Personen betroffen sind.
Auch die gesteigerte Gewaltbereitschaft im
öffentlichen Raum bzw. im Öffentlichen Nahverkehr
hat mit Sicherheit dazu beigetragen, dass die
meisten Menschen von Zivilcourage Abstand
nehmen. Zuletzt hat sich dies erst wieder in Erfurt
gezeigt, als ein Geflüchteter von einem anderen
Fahrgast in der Straßenbahn angegriffen wurde.
Aufgrund des hohen Gewaltpotenzials griffen die
anderen Fahrgäste nicht ein, sondern informierten
nachträglich lediglich die Polizei oder nahmen
den Vorfall auf Video auf.
Anhand dieser Aufzeichnung konnte der Täter
schnell identifiziert und verhaftet werden. Allerdings
ging der Streit rund um die Zivilcourage erneut
los. Gerade in den sozialen Medien entbrannte
eine teils heftige Debatte, die einmal
mehr die Frage aufwarf, wie viel Zivilcourage eine
moderne Gesellschaft braucht. Selbstverständlich
erwartet niemand, dass man seine Gesundheit
oder im Extremfall sogar sein Leben riskiert. Aber
es gibt Wege und Möglichkeiten, sich für Mitmenschen
in Not einzusetzen, ohne seine körperliche
Unversehrtheit aufs Spiel zu setzen. So ist schon
geholfen, wenn man andere Mitfahrer oder Passanten
aufmerksam macht oder zum Beispiel die
Polizei alarmiert. Am Ende muss jeder selbst entscheiden,
in welcher Form und wie intensiv er
Zivilcourage zeigt. Nicht vergessen sollte man,
dass man auch selbst eines Tages in eine Situation
geraten kann, in der man froh ist, wenn andere
aufstehen und sich für einen einsetzen.
So geht Zivilcourage:
Rufe die Polizei/Sicherheitsdienst
und stelle dich als Zeuge zur Verfügung.
Mache andere Passanten/Fahrgäste auf
die Situation aufmerksam.
Beobachte den Täter und präge dir
Auffälligkeiten ein die bei einer
späteren Fahndung nützlich sein könnten.
4 BOLD
mediakompakt
„Die meisten
denken, es ist
eine Rolle, die
ich spiele.”
Täglich live on air vor hunderttausenden
Menschen: Dani
Wiese ist Moderatorin beim
Radiosender BigFM. Wie sie
mit diesem Druck umgeht, warum
sie immer gut gelaunt ist
und was sie Studierenden mit
auf den Weg geben möchte,
verrät sie im Interview.
VON ANNA TVERDOVSKA
UND DANIEL CECURA
Mediakompakt: Viele kennen Dich
aus dem Radio, aber wer ist die
Frau hinter dem Mikrofon?
Dani: Das hört sich wahrscheinlich
skurril an, aber ich bin eins
zu eins diejenige vor dem Mikrofon, die ich auch
dahinter bin. Tatsächlich habe ich einen Job gefunden,
bei dem ich mich nicht verstellen muss.
Ich kann genau die Dani Wiese sein, die ich sein
möchte. Die meisten denken, es ist eine Rolle, die
ich spiele. Es gibt Menschen, die mich im Radio
kennengelernt haben und mittlerweile meine
Freunde sind. Die dachten zu Beginn „Oh Gott,
was ist das denn für eine aufgedrehte Drossel!“
und haben mich nun auch privat kennengelernt
und merken: „Die ist ja im realen Leben auch so.“
mediakompakt: Du versprühst immer gute Laune –
wie schafft man es, so positiv zu sein?
Dani: Wie gesagt, ich habe einen Traumjob gefunden.
Das Mikrofon geht an, ich darf phänomenale
Musik abspielen, die ich meist auch privat höre.
Klar gibt es manchmal einen Song, den ich nicht
mag. Aber ich bin sehr dankbar für das, was ich
mache. Wieso sollte man da nicht fröhlich sein?
mediakompakt: Deine Insta-Bio lautet „Anders…
und DAS sehr gern“ – kannst Du das für uns
erklären?
Dani: Ich glaube, da steckt dieses Positive und
Skurrile dahinter. Ich mache meine Radiosendung
komplett allein, habe kein Team hinter mir.
Meist überlege ich mich mir, wie andere Kollegen
das angehen würden und dann mache ich es
genauso nicht. Ich finde, wenn alles gleich ist,
wird es langweilig. Ich frage mich meistens: Wie
kann etwas anders und dennoch cool sein? Ob es
immer gut ankommt, das weiß ich nicht, aber es
bleibt im Kopf. Wahrscheinlich bin ich einer der
skurrilsten Menschen der Welt. Und das ist völlig
okay so.
mediakompakt: Wie gehst Du mit beleidigenden
oder mit Hass-Kommentaren auf Instagram um?
02/ 2021 BOLD 5
Dani: Bisher habe ich auf Insta erst zwei Hasskommentare
bekommen. Vor kurzem hat mal einer
geschrieben: „Du willst hier aber einen auf super
fresh und super jung machen.“ Ich reagiere dann
ausgesprochen normal und sage, dass ich einfach
ein Mensch bin, mit dem man so nicht reden darf.
Ansonsten bin ich mit meiner Insta-Community
sehr zufrieden. Und das gebe ich gerne zurück. An
manchen Tagen erhalte ich bis zu 600 Nachrichten
und antworte immer. Meiner Meinung nach
schätzen das meine Follower. Ich nehme mir dafür
gern die Zeit, ich finde das gehört zu meinem
Job-Profil.
mediakompakt: Wie bist Du zum Beruf Radiomoderatorin
gekommen?
Dani: Ich war viel in Deutschland unterwegs und
hatte immer einzelne Moderationsjobs. Dann habe
ich mich in jemanden verliebt, der aus Baden-
Württemberg kam, danach war mir klar, dass sich
etwas an meinem Lebensstil ändern muss. Ich
wollte mal „down to earth“ sein, ein festes Zuhause
haben und nicht immer nur rumreisen. Ich habe
mich beim Radio beworben und ein Volontariat
bekommen. Ich war die erste Volontärin, die eine
eigene Sendung bekommen hat. Noch während
meines Volontariats bin ich Morning-Show-
Moderatorin geworden. Aber nicht, weil ich es so
gut konnte, sondern weil ich es unbedingt wollte.
mediakompakt: Was sind die größten Herausforderungen
im Job einer Radiomoderatorin?
Dani: Die größte Herausforderung
ist es, aus Scheiße Gold
zu machen. Ganz ehrlich.
Man ist tagtäglich von
schlechten Nachrichten umgeben,
will dennoch gleichzeitig
positiv bleiben. Mit dem, was man sagt,
kann man bei Menschen auch anecken. Ich glaube,
eine Herausforderung ist es, die Leute zu begeistern,
so, wie du bist. Aber das ist so schwierig.
Wenn es um Kritik an deiner Person geht, dann ist
jeder ganz schnell mit dabei. Da eine gute Balance
zu finden, ist sehr aufwendig.
mediakompakt: Wie gehst Du mit kritischen Themen
in deiner Sendung um?
Klartext mit Dani Wiese
„Ich bin
Feuer und Flamme
für diesen Beruf.“
• Mein absoluter Lieblingssong ist… „Carmen“ von Sido.
• Wenn ich frei habe, … treffe ich mich am liebsten mit meinen Freunden
– auf eine Weinschorle oder ein Wasser mit Wein.
Dani: Ich mache sie einfach. Ich lese mich ein.
Wenn es kritische Themen sind, wie zum Beispiel
die Corona-Pandemie oder Anschläge mit vielen
Toten, ist es für mich sehr wichtig, dass ich selbst
mir ein Bild gemacht habe, was passiert ist.
Manchmal denkt man, dass das alles so leicht ist,
aber es steckt viel Recherche dahinter. Und wenn
ich keine Information habe, halte ich lieber die
Klappe. Ich gebe dann gern mein Wort an die
Nachrichtenmoderatoren
ab. Wenn ich merke,
dass etwas kritisch ist,
hole ich mir den Rat eines
Experten. Es gibt
nichts Schlimmeres in
den Medien als einen
Moderator, der so tut, als
ob er etwas wüsste oder könnte, obwohl das nicht
der Fall ist. Der Verantwortung in meiner Funktion
als Radiomoderatorin bin ich mir bewusst, da
kann ich keinen Quatsch erzählen.
mediakompakt: Verspürst Du Druck, weil Hunderttausende
am Radio zu hören?
Dani: Nein. Das ist immer so: ich stelle mir nur eine
einzige Person vor mir sitzen vor. So ist auch
mein Moderationsstil. Ich glaube deswegen kön-
• In einem zweiten Leben wäre ich… ganz genau gerne das, was ich gerade bin,
würde aber eine Zweitkarriere als Sängerin starten (in der Hoffnung, dass mir im zweiten Leben
mehr musikalisches und rhytmisches Talent mitgegeben wird).
• Etwas, auf das ich niemals verzichten könnte: Handy, Freunde und Musik.
• Dani Wiese in drei Worten: skurril, skurriler, am skurrilsten.
Bilder: Dani Wiese
nen die Leute auch etwas mit mir anfangen. Ich
bin mit meinen Hörern irgendwie befreundet.
mediakompakt: Siehst Du Podcasts und Streaming-
Dienste als Konkurrenz für das Radio?
Dani: Ich glaube, dass das auf jeden Fall eine Konkurrenz
für das Radio ist, aber nicht tagsüber. Bei
Spotify hast du deine Lieblingssongs. Und klar ist
das geil. Aber ohne, dass jemand mal ein paar Updates
gibt: Vom Verkehr, vom Wetter, von den
Nachrichten. Ich glaube, das ist ganz arg wichtig.
Du sitzt im Auto und möchtest trotzdem wissen,
was auf den Straßen los ist. Gibt es Staus oder Blitzer?
Und dann kommt neue Musik und man lernt
etwas vom Künstler. Selbst, wenn man den Künstler
nicht mag. Das ist so dieses Unterhalten werden,
was man gerade auf langen Strecken braucht.
mediakompakt: Was würdest Du gerne uns jungen
Studierenden als Karrieretipps mit auf den Weg
geben?
Dani: Das Allerwichtigste ist, erstmal auszuprobieren.
Man muss Praktika machen! Ich bin ein riesen
Fan von Praktika. Will ich in so einen Beruf
mit Medien? Möchte ich unter dem Druck arbei
ten? Möchte ich in so einem Team arbeiten?
Könnt ihr euch für die Medien zum Teil prostituieren?
Ich spiele bei BigFM meine Musik. Ich
könnte aber auch für ein Schlager Radio arbeiten.
Aber dann müsste ich mich etwas mehr verbiegen,
was die Musikrichtung belangt. Deswegen ist
es so: Macht Praktika und guckt, ob ihr das auch
möchtet. Am besten viele verschiedene. Und immer
so, dass ihr sagen könnt, ihr habt immer
100 % gegeben.
mediakompakt: Sehen und hören wir Dani Wiese
auch noch die nächsten zehn Jahre im Radio?
Dani: Ich denke schon! Mir macht das echt keinen
Druck und es ist für mich keine Arbeit. Ich komm
hier her und ich finde es einfach gut. Ich mache
das gerne und ich habe da richtig Spaß. Ich bin
Feuer und Flamme für den Beruf und ein richtiger
Streber. Es ist für mich sehr befriedigend, dass ich
meinen Hörern immer antworten kann und dass
meine Hörer immer zu Wort kommen.
6 BOLD
mediakompakt
Bild: Adobe
Aussprechen, was Ärzt*Innen
nicht dürfen
Es geht um sexuelle Selbstbestimmung. Um ein grundlegendes Frauenrecht – das Informationsrecht.
Der Paragraf 219a des Strafgesetzbuches verbietet „Werbung für den Abbruch der
Schwangerschaft“ für Ärztinnen und Ärzte. Die Folgen sind weitreichend.
VON SINA KOLSCH
Seit der Reform des Paragrafen 219a im
Februar 2019, ausgelöst durch den Fall
„Kristina Hänel“, dürfen Ärzt*Innen
auf ihrer Website darüber informieren,
dass sie einen Schwangerschaftsabbruch
durchführen, jedoch nicht wie. In Deutschland
ist Abtreibung immer noch illegal, aber bis
zur zwölften Schwangerschaftswoche laut Paragraph
218a StGB straffrei – die sogenannte „Werbung“
dafür hingegen nicht. Der Begriff „Werbung“
ist in diesem Kontext besonders irreführend,
denn er wird klassisch als Impuls definiert,
um eine spezifische Handlung oder einen bestimmten
Gedanken bei anderen Menschen anzuregen.
Doch ist fraglich, ob das im Zusammenhang
mit der Aufklärung über einen Schwangerschaftsabbruch
passend ist. Das „Werbeverbot“
schränkt auf indirektem Weg das Recht auf Informationsfreiheit
der ungewollt Schwangeren ein
und verwehrt ihnen somit den Zugang zu fundierten
Informationen. Widersetzen sich Ärzt*Innen
der gesetzlichen Regelung, können sie mit einer
Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder einer
Geldstrafe belangt werden.
Die Folgen hat die Allgemeinmedizinerin Kristina
Hänel aus Gießen zu spüren bekommen. Im
Jahr 2017 wurde sie zu einer Geldstrafe von 6000
Euro verurteilt, weil sie auf ihrer Website über das
Vorgehen bei einem Schwangerschaftsabbruch
informiert. Das Absurde an der ganzen Sache:
fachfremde Personen, sprich jeder, der keinen
Abbruch durchführt, dürfen über den genauen
Ablauf und alle Risiken aufklären.
Exakt das hat sich der Verein „Terre des Femmes
– Menschenrechte für die Frau e.V.“ zur Aufgabe
gemacht. Er setzt sich für ein gleichberechtigtes
und selbstbestimmtes Leben von Mädchen
und Frauen weltweit ein. „Durch öffentlichkeitswirksame
Aktionen, Publikationen, Veranstaltungen
und Kampagnen sollen Öffentlichkeit und
Politik für geschlechtsbedingte Gewalt und Diskriminierung
sensibilisiert werden“, ist auf der
Website des Vereins zu lesen.
Mit der Kampagne #streicht219a wird gefordert,
den Paragrafen aus dem StGB zu eliminieren.
Gleichzeitig sollen fachfremden Personen angehalten
werden, Informationen zum Thema
Schwangerschaftsabbruch zu teilen und dadurch
für alle frei zugänglich zu machen. Die Website
www.streicht219a.jetzt ist Kernstück der Kampagne
und beinhaltet alle wichtigen Auskünfte zu
Abtreibung. Um die Paradoxie des Paragrafen zu
verdeutlichen, werden Werbespots mit fachfremden
Laien, wie zum Beispiel Moderatorin Melissa
Khalaj, Schauspieler Max Koch oder Gastronom
Billy Wagner gezeigt. „Ich begrüße es, dass ein
Koch über Schwangerschaftsabbrüche aufklärt
und bin ihm dankbar dafür. Aber einen gewissen
Aspekt der Verfremdung hat es schon“, formuliert
Allgemeinmedizinerin Kristina Hänel Bedenken
auf ihrem Twitter-Account. Denn nur als außenstehende,
fachfremde Person ist es gestattet,
Betroffenen über den medikamentösen oder möglicherweise
chirurgischen Eingriff und dessen
Risiken und Folgen aufzuklären.
Mitmachen und informieren
Auch du kannst Teil der Kampagne werden
und auf deinem Social-Media-Account auf die
Aktion aufmerksam machen oder über einen
Schwangerschaftsabbruch aufklären und medizinische
Fakten teilen. Auf der Website stehen
vorgefertigte Texte mit allen Informationen
zur Verfügung. www.streicht219a.jetzt
Informiert euch über weitere Themen des
Vereins „Terre des Femmes- Menschenrechte
für die Frau e.V.“ unter: www.frauenrechte.de
02/ 2021 BOLD 7
Flirten und Feminismus?!
Der richtige Machoflirtspruch und schon beißt Frau an? Das ist nicht mehr zeitgemäß
und geht auch anders! Feministisch zu flirten, heißt nichts anderes, als respektvoll
und ehrlich miteinander zu kommunizieren.
VON VANESSA BAUER
Glaubst du an Liebe auf den ersten Blick oder muss ich
noch mal an dir vorbeilaufen?
Liebe auf den ersten Blick? Ein ganz schwieriges
Thema. Die einen glauben daran, die anderen
nicht. Sofort von Liebe zu sprechen kann abschreckend
wirken oder falsche Hoffnungen wecken.
Besser wäre zum Beispiel, darauf hinzuweisen,
dass die begehrte Frau durch ihre positive Art oder
durch ihr tolles Outfit aufgefallen sei.
Spucken oder schlucken?
Die Frage „Spucken oder schlucken?“ darf gestellt
werden, aber im richtigen Rahmen und bitte
nicht als erster Satz, wenn man sich gerade zum
ersten Mal in die Augen sieht.
Wenn es ein so wichtiges Thema für den Mann ist,
sollte es zu einem späteren Zeitpunkt geradeheraus
angesprochen werden. Oder es bleibt eine
Überraschung, wenn bis zum entscheidenden
Moment gewartet wird. Möglich wäre: „Du, ich
stehe total darauf, wenn eine Frau schluckt,
kannst du dir das vorstellen?“.
Du bist die schönste Frau, die ich je im Leben...äh, ich
meine, in den letzten drei Minuten gesehen habe!
Einer Frau Honig um den Mund zu schmieren, um
bei der Hälfte des Satzes anzufangen, sie abzuwerten,
ist total respektlos. Zumal es nicht die schönste
Frau gibt, jede Frau ist auf ihre eigene Art und
Weise schön. Die Schönste der letzten drei Minuten
zu sein, ist wahrlich kein Kompliment. Männer
können Frauen darauf ansprechen, dass sie sie
schön oder was sie an ihr attraktiv finden. Aber:
respektvoll. Kleiner Tipp: sich vorsichtig herantasten,
nicht alle kommen gleich gut mit Komplimenten
klar.
Letztendlich kann sich so eine größere sexuelle
Spannung aufbauen, als wenn man direkt mit der
Tür ins Haus fällt.
Beim Eichhörnchen aus Ice Age habe ich gelernt: Wer
das Eis brechen will, muss die Eicheln ganz fest reinrammen!
Kennenlern-Sex ist eine interessante Art sich kennenzulernen,
aber vielleicht wollen sich eben einige
nur sexuell kennenlernen. Der nicht auszurottende
Mythos „wer fest reinrammt, hat guten
Sex“ ist total überholt. Guter Sex entsteht aus Respekt,
Vertrauen und offener Kommunikation.
Nicht jede steht auf Sofort-in-die-Kiste-springen.
Auch hier würde respektvolles Herantasten der erfolgreichere
Weg sein. Und falls sie doch aufs
„Reinrammen“ steht, dann go for it.
Du siehst aus wie meine Albträume – die bleiben auch
nie länger als eine Nacht!
Welche Frau würde es positiv aufnehmen, mit
Albträumen verglichen zu werden? One-Night-
Stands sind legitim und sollten definitiv nicht wie
Albträume aussehen. Wie wäre es einfach direkt
zu fragen? Gut, das erfordert Mut und bestenfalls
die passende Situation, aber so können immerhin
die Albträume nicht im Weg stehen.
Hör auf, mich mit den Augen auszuziehen!
Sollte man ein Gespräch mit einem Vorwurf
anfangen? Und dann auch noch mit dem Thema
Nacktheit. Es kann auf Augenkontakt eingegangen
werden, dann aber lieber so: „Mir ist aufgefallen,
dass du immer wieder zu mir geschaut hast.“
Oder so: „Ich mag es, dir in die Augen zu schauen.“
Ich heiße [Name]. Hast du das gewusst?
Jetzt weißt du, was du nächste Nacht stöhnen musst.
Wann wird hier die Frau gefragt, was sie eigentlich
möchte. Möchte sie Sex mit dem Mann haben?
Und wenn ja, ist alles, was danach folgt, ganz allein
ihre Entscheidung. Jeder darf seine Vorlieben
haben, aber das Wort „muss“ sollte in keinem Fall
in Verbindung mit Sex stehen.
Vielmehr soll es ein „alles darf, nichts muss“ sein.
Darüber darf geredet werden, eben mit Respekt
vor den Wünschen des und der anderen.
Bild: Pexels
Sag deinen Nippeln, sie sollen mir nicht so schamlos
in die Augen starren!
Wann hört es auf, dass weibliche Nippel sexualisiert
werden? Mit „in die Augen starren“ sind
wohl steife Nippel gemeint. Sie bedeuten aber
nicht zwangsläufig, dass die Frau geil auf einen
Mann ist. Es gibt so viele Gründe, warum Nippel
(kaum zu glauben, auch männliche) steif werden
können. Und wenn sie es sind, muss es nicht
dreist als Anmache benutzt werden. Schamlos ist
in diesem Fall der Mann, der das sagt.
8 BOLD
mediakompakt
Jung. Grün. Stachelig.
Nach langer Arbeit bei der Geflüchteten-Hilfe in ganz Europa war Sarah Heim so frustriert,
dass sie politisch aktiv werden wollte. Heute ist sie die Landessprecherin der Grünen Jugend
und hat in Baden-Württemberg einiges vor. Wir haben mit ihr gesprochen.
VON SOPHIA CHRIST
Mediakompakt: Was denkst Du, gibt
es zu wenig Frauen in der Politik?
Sarah: Vor der Landtagswahl
waren weniger als ein Drittel der
Abgeordneten weiblich. Das ist
viel zu wenig, weil ein Parlament die Gesellschaft
abbilden sollte. Dementsprechend sollten nach
meiner Meinung mindestens die Hälfte Frauen,
aber auch nichtbinäre, trans- und inter-Menschen
dabei sein. Und das haben wir noch lange nicht
erreicht.
mediakompakt: Wo begegnet dir Feminismus in der
Politik?
Sarah: Wir fordern auf Landesebene ein Antidiskriminierungs-Gesetz.
Es soll nicht nur um Diskriminierung
gegen Frauen oder sexuelle Übergriffe
gehen, sondern auch bei Diskriminierung gegen
Menschen mit Behinderungen oder für Menschen
die rassistisch beleidigt werden, eingesetzt werden.
Dafür braucht es Gesetze. Ich gebe Euch mal
ein Beispiel: Als die polnische Regierung die
Abtreibungsgesetzesgrundlage geändert hat, hat
das weltweit für Aufruhr gesorgt. Viele haben gemerkt:
der feministische Kampf ist auf keinen Fall
zu Ende. Wir müssen weiter für unsere Grundrechte
kämpfen!
mediakompakt: Wo fehlt deiner Meinung nach
Feminismus in der Politik?
Sarah: Feministische Politik ist für mich wie eine
Brille, die man die ganze Zeit aufhaben sollte. Jegliche
Maßnahme, die getroffen wird, sollte auf
Gendergerechtigkeit überprüft werden. Genauso
sollte man mit Themen wie dem Klimaschutz vorgehen.
Ich kann mir verschiedene Ansätze vorstellen,
beispielsweise das Gender-Budgeting.
Oder auch eine Art Raster, durch die jede Maßnahme
fließen und konsequent gecheckt werden
muss. Die Frage dabei sollte sein: Bringt das eventuelle
Nachteile mit sich für Menschen, die nicht
männlich- gelesen sind?
mediakompakt: Was sagst du Menschen, die
behaupten, man müsse kein Feminist sein, um für
Gleichberechtigung zu sein?
Sarah: Man hat in den letzten Jahren gesehen, dass
man durchaus feministisch handeln muss, um
Gleichberechtigung voranzutreiben. Beispielsweise
wurden die LGTBQ-freien Zonen in Polen
gegründet, was schrecklich ist. Da hängt vieles
miteinander zusammen: Die Unterdrückung von
Menschen, die diskriminiert werden, weil andere
ihre Machtposition sonst bedroht sehen. Ich denke,
es zeugt eher von Angst, dass die Gesellschaft
vorankommt. Genau das zeigt, dass es Feminismus
und Queer-Feminismus braucht.
Bild: Sarah Heim
mediakompakt: Wo siehst du den Unterschied einer
Landessprecherin der Grünen Jugend im Vergleich
zu denen anderen Parteien?
Sarah: Was uns auf jeden Fall ausmacht, ist die
FLINT-Quote (Frauen, Lesben, inter-, nichtbinäreund
trans- Menschen). Das ist die Grundlage, mit
der ich mich damals überhaupt angesprochen gefühlt
habe als junge Frau. Ich hätte nicht für ein
Amt kandidiert, wenn nicht auch männliche Personen
mich empowert hätten und das lag daran,
dass noch Frauen gesucht wurden. Insgesamt bin
ich natürlich auch bei den Grünen und bei der
Grünen Jugend, weil ich mich mit deren Grundwerten
am besten identifiziere. Grundwerte wie
Queerfeminismus, Antifaschismus, Antirassismus
und dann natürlich auch der Klimaschutz als Leitfaden
unserer Arbeit.
mediakompakt: Gibt es für dich andere Herausforderungen
als für deinen Kollegen und Landessprecher
Deniz Gedik?
Sarah: Man muss sich als Frau zunächst beweisen,
das merkt man jetzt bei Annalena Baerbock sehr
stark. Da kommen Debatten wie: Kann sie es überhaupt?
Schafft sie das alles? Das ist eine andere Art
von Druck. Aber in der GJ sind wir super inklusiv,
da habe ich mich noch nie Beschweren müssen.
Ganz im Gegenteil. Wir pushen und unterstützen
Frauen viel mehr.
mediakompakt: In deiner Instagram- Biografie steht
das Zitat: „Nur wer noch Hoffnung hat, ist unruhig“.
Ist das dein Lebensmotto?
Sarah: Ja, voll! Es stammt von Hermann Hesse,
einer meiner Lieblingsautoren. Ich denke, dass
viele in unserer Generation eine Art Unruhe spüren.
Wir hatten wahrscheinlich noch nie so eine
krasse Herausforderung, wie etwa die globale
Erderwärmung. Da wird zu wenig getan, dementsprechend
spürt man diese Grundunruhe in sich
und will etwas verändern. Das bedeutet ja, es gibt
noch Hoffnung, dass sich irgendwas ändert. Jetzt
ist die beste Zeit, um sich für etwas einzusetzen.
Wenn man es immer nach hinten schiebt, wird
nie was draus.
Die Grüne Jugend
Die Grüne Jugend ist die unabhängige Jugendorganisation
der Partei Bündnis 90/Die
Grünen. Mehr Infos unter gruene-jugend.de.
Auf Landesebene ist die Grüne Jugend Baden-
Württemberg aktiv: www.gjbw.de
02/ 2021 BOLD 9
Präsent!
Prägend!
Passmann.
Bild: Max Erb/Wikipedia
Die Autorin, Moderatorin und Satirikerin Sophie
Passmann ist mit 27 Jahren bereits eine der
präsentesten und prägendsten Feministinnen
im deutschsprachigen Raum. Eine Annäherung.
VON LEA SCHLAICH
Seit Jahren engagiert sich Sophie Passmann
für mehr Chancengleichheit
und sagt bewusst provokant dem Krieg
der Geschlechter den Kampf an. Der
Lohn? Massive Resonanz, nicht nur
von FLINT* (*).
Sie bespricht offen in Diskussionen den Unmut
und die Angst, die sich bei nicht-feministischen
Männern entwickeln, wenn FLINT* feministisch
handeln.
Dass den
Männern etwas
weggenommen
werden
würde, wenn
das andere Geschlecht
dies
und jenes Tun
dürfe. Doch
dieses Nullsummenspiel existiert bei Chancengleichheit
nur illusionistisch. Mit diesen entstandenen
Erkenntnissen und Aussagen übt Sophie
Passmann radikal humoristisch eine Kritik am
vorherrschenden Patriarchat.
In ihrem Buch „Alte weiße Männer – ein
Schlichtungsversuch“ löste die Journalistin eine
deutschlandweite Debatte aus. Sie diskutiert dort
in gemeinsamen Gesprächen mit „alten weißen
Männern“, etwa der Kommune-1-Legende Rainer
Langhans oder dem Sportmoderator Marcel Reif
Themen wie Sexismus und Feminismus. Ein „alter
weißer Mann“ ist laut Passmanns Aussage: „das
Gefühl der Überlegenheit, gepaart mit der scheinbar
völligen Blindheit für die eigenen Privilegien“.
Dass diese Gespräche nicht immer ohne
Diskussionen einhergehen ist klar, dennoch löst
sie diese mit
Wer Feminismus als zu
anstrengend, langwierig oder
unsympathisch empfindet, hat
Feminismus nicht verdient.
viel Verständnis,
Kompromissfähigkeit
und der nötigen
Kühnheit.
Gemeinsam
mit ihren
Kollegen, den
TV-Moderatoren
Klaas Heufer-Umlauf und Joko Winterscheidt,
produzierte sie 2020 die Sendung „Männerwelten“.
In dem 15-minütigen Beitrag wurden alltäglicher
Sexismus und Frauenfeindlichkeit beleuchtet,
welchen FLINT* tagtäglich erleben. Die Einschaltquote
war beachtlich: Der Sender ProSieben
erreichte Millionen von Zuschauer*innen. Sophie
Passmann berichtete später in einem ARD-Inter-
view, dass Männer sie kontaktiert haben, die sich
nicht im Klaren darüber gewesen seien, welcher
Art von sexueller Gewalt FLINT* ausgesetzt sind.
Sie wollten künftig aufmerksamer sein und diese
Belästigungen nicht mehr dulden. Denn: „Wer
Feminismus als zu anstrengend, langwierig oder
unsympathisch empfindet, hat den Feminismus
nicht verdient.“ (Sophie Passmann beim Festival
Z2X18)
Natürlich erntet die junge Frau – die sich auch
in den sozialen Netzwerken engagiert – nicht nur
positive Resonanz. Beleidigungen, Spott und
Häme sind bei ihr an der Tagesordnung. Solche
Kommentare bringen sie nicht zum Schweigen.
Sie nimmt das zum Anlass noch mehr darüber zu
sprechen, Hintergründe zu durchleuchten und
die Verursacher durch präzise, selbstironische
und kluge Argumente zum Schweigen zu bringen.
Und wir – egal wer – sollten es ihr gleichtun.
Oder wie es die US-Journalistin Joan Didion sagt:
„Nicht rumheulen – lieber härter arbeiten!“
*FLINT* = steht für Frauen, Lesben, inter, non-binary
und trans Personen. Es ist eine Abkürzung, die nicht nur
Frauen bezeichnet, sondern alle Personen, die vom Patriarchat
unterdrückt werden.
10 BOLD
mediakompakt
Bild: Valérie Angéliqe Rust
„Es hat sich
für mich einfach
richtig angefühlt.“
Valerie Angéliqe Rust war Kunst-Therapeutin,
dann folgte sie ihrem Gefühl, einen neuen Weg
zu gehen. Einblicke in die Arbeit einer Schmuckdesignerin,
für die jedes Schmuckstück ihre
persönliche Handschrift trägt.
VON STELLA LIEBENDÖRFER
Valérie denkt oft daran zurück, wie ihr
Leben vor einem Jahr aussah. Heute bestimmt
sie ihren Arbeitsalltag selbst.
Geht dem nach, was sie erfüllt. Dem
Schmuckdesign. Aber wie kam es dazu?
Nach dem Abitur entschließt sich die heute
26-Jährige für ein dreimonatiges Praktikum in einer
Klinik für Psychosomatik. Dort werden Menschen
mit Depressionen, Angst- und Essstörung
behandelt. Da ist sie 17. Dieser Entschluss legt den
Grundstein für ihr anschließendes Kunsttherapiestudium
in Nürtingen. Durch das Studium lernt
sie viel über sich selbst. Sie schult ihren Blick für
Menschen, begleitet deren kreative Arbeit und
zieht Rückschlüsse, um auf künstlerische Art helfen
zu können.
Im Studium ist sie mit 18 die jüngste. Zwischen
18 und 50 Jahren sind alle Altersgruppen
vertreten. Jeder mit einem anderen Background.
Bild: Valérie Angéliqe Rust
Verschiedene Persönlichkeiten treffen aufeinander.
Vier Jahre studiert sie Kunsttherapie (in Nürtingen,
Hamburg und Nijmegen) und es ist total
ihr Ding, wie sie sich erinnert. Es ist eine sehr intensive
und erfahrungsreiche Zeit. Nach ihrem
Abschluss zieht sie mit ihrem Freund für kurze
Zeit nach Köln. Im Moment lebt sie mit ihm in
Wien und arbeitet von zu Hause aus.
Anfangs fühlt sie sich noch nicht bereit als
Kunsttherapeutin zu arbeiten und jobbt im Einzelhandel
und als Hostess. Eine wertvolle Erfahrung.
Denn dadurch kann sie ihren erlernten
Beruf schätzen lernen. Ab Oktober 2018 arbeitet
sie dann an einer Schule für Kinder mit Aufmerksamkeitsstörung.
Sie lehrt Englisch und Französisch
– und ein bisschen Spanisch. Valérie merkt −
obwohl sie der Kontakt zu den Kindern bereichert
− dass die Pädagogik nicht ihr Zuhause ist.
Dann besucht sie im Juni 2019 eine Freundin
in Berlin. Stunde null ihrer Selbstständigkeit. Die
Freundin trägt Ohrringe in Form eines Fisches, die
sie selbst aus Polymer-Ton gemacht und bemalt
hat. Einen Monat später, versucht sich Valérie
selbst am Schmuckmachen. Sie arbeitet mit dem
ofenhärtenden Ton. Jede freie Minute verbringt
sie auf ihrem geliebten Balkon. Tag und Nacht. Sie
formt, knetet, mischt Farben. Es ist ein kreativer
Ausgleich zur Arbeit, die sie viel Energie kostet.
Dann − im Juli 2020 − kündigt sie ihren Job als
Lehrerin.
Ihr kleines Business baut sie Schritt für Schritt
auf. Sie ist Fotografin, Material-Beschafferin,
Social-Media-Managerin und Buchhalterin in einer
Person. Immer mehr Leute interessieren sich
für ihren Schmuck. Ihre Ohrringe werden für
Fotoshootings angefragt. Das Frauenkollektiv
supportyourlocalgirlgang und ein Netzwerk von
selbstständigen Unternehmerinnen aus Wien
unterstützen die Schmuckdesignerin auf ihrem
Weg. Ihren Unikaten gibt sie Namen von Herzensmenschen,
aber auch Namen, die ihr spontan
einfallen. Die Bogen-Ohrringe hat sie nach ihrer
Oma benannt.
Sie kann mit ihrer Arbeit das machen, was sie
will. Es erfüllt sie. Ihr künstlerischer Anspruch ist
ein besonderes Unikat, das ihre Handschrift trägt.
Sie will mit ihren Schmuckstücken Farbe in das
Leben der Leute bringen, sie zu ihren Träumen
ermutigen. Dabei möchte sie unabhängig bleiben
und von jedem Ort aus ihrer kreativen Arbeit
nachgehen können.
Für die Zukunft kann sich die Designerin vorstellen,
ihren Schmuck in mehreren Geschäften
anzubieten. Den ersten Schritt dafür, ist sie schon
gegangen. Im Konzept-Store katinka_kleineschwester
in Kaufbeuren im Allgäu, können
Schmuckliebhaber Unikate von der Designerin
vor Ort kaufen. Selbst möchte sie beim unabhängigen
Online-Business bleiben.
Über Valérie:
Drei Dinge ohne die Valérie nicht leben
könnte: Balkon. Kaffee. Nudelmaschine
(für den Schmuck).
Instagram: valerie.vienne
YouTube: valérie vienne
Etsy: ValerieVienne
02/ 2021 BOLD 11
Die nachhaltige Revolution
NKM steht für Naturkosmetik München und für ein revolutionäres Start-up.
Gründerin Mareike Peters, 24 Jahre alt, krempelt ihre Branche um.
Wie? Indem sie Kosmetik so nachhaltig, fair und sozial wie möglich produziert.
VON ISABELL DE LA ROSA
Mareike Peters begann 2015 natürliche
Kosmetik selbst herzustellen,
um wirksame, transparente
und mit natürlichen Zutaten gewonnene
Hautpflege zu kreieren.
2018 veröffentlicht sie ihren ersten Post auf ihrem
Instagramkanal @naturkosmetikmünchen – und
will die Kosmetikbranche revolutionieren. Der
Account, der ursprünglich nur zum Inspirieren,
Austauschen und Teilen gedacht ist, wurde
schnell zu weit mehr. Mareike ist so überzeugend,
dass sie schon im selben Jahr erste Produkte zum
Selbstrühren verkaufen kann. Seitdem geht es
steil bergauf. 2019 hat Mareike NKM offiziell mit
ihrem Freund Alex gegründet. Und im vergangenen
Jahr konnte sie ihren ersten eigenen Laden in
München eröffnen.
Naturkosmetik München ist kein normales
Start-up. Es hat sich zur Aufgabe gemacht, eines
der neuen Generation zu sein: klimaneutral, fair,
sozial. Die Produktphilosophie: rein pflanzlich,
vegan, tierversuchsfrei und regional produziert.
So nachhaltig wie irgend möglich und dennoch
wirksam. Mareike Peters will alte Strukturen neu
denken. So arbeitet sie zum Beispiel mit Climate-
Partner zusammen und unterstützt für nicht-vermeidbare
Kohlendioxid-Emissionen zertifizierte
Klimaschutzprojekte. NKM ist seit 2020 als klimaneutrales
Unternehmen zertifiziert. Von Anfang
an wurde nicht nur ökonomisch, sondern auch
sozial und ökologisch gearbeitet. Das ist im Startup-Bereich
immer noch eher selten, aber könnte
als Inspiration für zukünftige Business-Models einen
großen Unterschied machen. Denn Nachhaltigkeit
ist immerhin in aller Munde.
Ihr soziales Engagement ist eine weitere Besonderheit:
Im Zuge der Mehrwertsteuersenkung
2020 konnten die Kund*Innen sich dafür entscheiden
die erlassenen drei Prozent doch zu zahlen
und damit einen sozialen Zweck zu unterstützen,
den sie vorher gemeinsam durch eine Umfrage
in Mareikes Instagram-Story auswählen konnten.
So kamen Spenden von insgesamt circa
48.800 Euro für den Jemen, den Regenwald und
Hilfe für Tiere in Not zustande.
Bild: NKM
Zum Blackout Tuesday spendete NKM ein ganzes
Tageseinkommen an Black lives matter (BLM).
Auch abseits davon unterstützt NKM soziale Projekte,
wie zum Beispiel eine Werkstatt für Behinderte
in München, an die gewisse Aufgaben ausgelagert
werden, wie auch „München gibt Dir eine
Chance“, bei denen sie drei Patenschaften für
Jugendliche haben.
Doch nicht nur das dürfte NKM so erfolgreich
gemacht haben, sondern auch das konstante Einbeziehen
ihres „NKM-Dorfes“ – ihrer Kund*Innen.
Die Transparenz von NKM ist neu: Die Gründerin
bindet Kund*Innen in die Produktentwicklung
ein, nimmt sie mit zu ihren Partnern, lässt sie
mitentscheiden und holt sich Meinung einen –
über Instagram, Youtube, Facebook, TikTok und
Podcasts. Auf diese Weise nimmt das Unternehmen
Kund*Innen in die Mitverantwortung und
beweist, dass die Philosophie nicht nur Greenwashing
ist, sondern aktiv umgesetzt wird.
Es geht nicht mehr nur um ökonomischen,
sondern außerdem auch um ökologischen und sozialen
Erfolg. Und Mareike Peters macht damit einen
Unterschied: Forbes würdigt sie als „30 under
30 Europe“ im Bereich Retail und E-Commerce.
Sie zeigt, dass es möglich ist, ökonomisch erfolgreich
zu sein und dabei aber gleichzeitig fair, sozial
und umweltbewusst zu arbeiten. Eine Balance,
die noch nicht viele Unternehmen meistern können.
Das ist bold.
Die Naturkosmetikbranche:
Umsatz Naturkosmetik 2021: 289 Millionen Euro
Prognose bis 2025: 411 Millionen Euro – jährliches
Wachstum von 9,24 Prozent.
Nachhaltigkeit bei der Naturkosmetik liegt im
Trend, dennoch ist der Hauptgrund Naturkosmetik
zu kaufen „Um der Haut etwas Gutes zu
tun“, Umweltbewusstsein kommt erst knapp
dahinter.
Natürliche Gesichtspflege ist am beliebtesten.
12 BOLD
mediakompakt
„Eine faire Welt für alle“
Laura Evers ist 22, studiert im
7. Semester Mediapublishing
und ist gemeinsam mit ihrem
Kumpel Marius Schulz Gründerin
des sozialen Start-ups
„dreamer!“. Mit dem Hersteller
und Textilprofi Ehsan produzieren
sie nachhaltige Streetwear
in Bangladesch.
VON MARA CLASS UND SARAH GUIRA
Mediakompakt: Wie kam es zur dreamer!-Gründung?
Laura: Marius hat dreamer! Ende
2019 gegründet, bevor ich dazu
gekommen bin. Er hatte das Wirkungsschaffer-Stipendium
beim Social-Impact-
Lab in Stuttgart gewonnen – das ist ein Inkubator
für Sozialunternehmer, die einem helfen, seine
Ideen zu schärfen. Ich kenne Marius über Freunde
und habe von seiner Reise nach Bangladesch über
Instagram erfahren. Das hat mich sehr beeindruckt,
ich habe ihm dann Hilfe angeboten. Eigentlich
war der Plan, Marius nur grafisch zu unterstützen,
doch nach zwei Wochen war ich praktisch
für die nächsten drei Jahre eingeplant. Jetzt
ist dreamer! genauso mein Baby wie seines.
mediakompakt: Was motiviert Euch?
Laura: Das Start-up ist uns ans Herz gewachsen.
Uns motiviert am meisten, es weiter voran zu
bringen. Viele nachhaltige Unternehmen produzieren
in Europa. Dieses Im-Stich-lassen des
globalen Südens, also der sogenannten Entwicklungs-
und Schwellenländer, nachdem diese Länder
jahrzehntelang ausgebeutet wurden, hat
einen Nerv bei mir getroffen. Unsere Vision ist
eine Welt, die fair für alle ist. Es sollte keine Frage
sein, ob ein Kleidungsstück nachhaltig hergestellt
ist oder nicht, sondern selbstverständlich für alle
sein.
mediakompakt: Wer hat Euch unterstützt?
Laura: Das Social-Impact-Lab in Stuttgart. Dort gab
es viele Workshops, wir wurden gut beraten.
Ebenso haben uns unsere Familien und Freunde
sehr unterstützt. Alle wichtigen Fähigkeiten und
Fertigkeiten haben wir uns jedoch selbst angeeignet.
mediakompakt: Was war die größte Hürde beim
Gründen?
Laura: Corona! Das war und ist die größte Hürde.
Auch, was das Kapital angeht, weswegen wir uns
für Crowdfunding entschieden haben. Das richtige
Team zu finden und sich gegenseitig einzuspielen,
war ebenfalls eine Herausforderung. Da wir
uns vieles selbst aneignen mussten, hat uns das
ein wenig zurückgeworfen. Doch im Großen und
Ganzen gab es keine riesige Hürde – die paar Stolpersteine
haben wir gemeistert.
mediakompakt: Euer Startup heißt dreamer! Wovon
träumt Ihr?
Laura: Der Name kommt daher, dass Marius immer
ein Träumer war.
Wir träumen davon, die Modeindustrie langfristig
in eine soziale und nachhaltige Richtung zu verändern.
Wir wollen ein Angebot für Menschen
schaffen, die Streetwear tragen und nachhaltig
einkaufen wollen.
mediakompakt: Auf Eurem Instagram-Kanal informiert
Ihr auch über soziale Ungerechtigkeit und
Missstände, warum ist das wichtig?
Laura: Nach unserer Ansicht ist der entscheidende
Faktor, warum Menschen nicht nachhaltig einkaufen,
dass die meisten einfach nicht wissen, wie
Kleidung hergestellt wird. Auch mir war das lange
Zeit nicht bewusst! Die Lieferketten sind total intransparent.
Der Zusammenhang von bewusstem
Konsum und sozialen und gesellschaftlichen Themen
geht für uns Hand in Hand: Es dreht sich bei
uns viel um die Gerechtigkeit zwischen dem globalen
Süden und dem globalen Norden, denn wir
sind eine Welt.
Bild: dreamer! fashion
mediakompakt: Wie hat sich Dein Konsumverhalten
in den letzten Jahren verändert?
Laura: Das hat sich schon vor mehreren Jahren in
eine nachhaltige Richtung entwickelt. Aber als ich
mir dann mal bewusst Videos aus Bangladesch angeschaut
und verstanden habe, dass meine Kaufentscheidung
eine konkrete Auswirkung auf das
Leben von anderen Menschen hat, hat sich mein
Weltbild nochmal komplett gedreht. Denn Kaufentscheidungen
können die Welt wirklich verändern.
Seitdem ich bei dreamer! mitarbeite, habe
ich nichts mehr von einem Fast-Fashion-Unternehmen
gekauft. Ich bin von 50 bis 60 Online-Bestellungen
bei ASOS in einem Jahr auf null runter.
Dabei habe ich viele Klamotten! Ich liebe sie, ich
liebe schöne Sachen, aber ich konnte das nicht
mehr mit meinem Gewissen vereinbaren.
mediakompakt: Wie bringst Du Studium und dreamer!
unter einen Hut?
Laura: Gutes Zeitmanagement, manchmal zwei
Laptops, viel Kaffee, wenig Schlaf und viel Motivation.
Wenn man etwas will, schafft kann man
das auch. Dreamer! ist für mich eine Herzenssache,
deswegen klappt das automatisch.
mediakompakt: Was würdest Du anderen jungen
Gründern mitgeben?
Laura: Machen! Ausprobieren! Wenn man eine
Vision hat und darauf Bock hat, loslegen!
02/ 2021 BOLD 13
Klappt es nicht, wieder aufstehen. Ich finde es
schade, wenn Ideen in irgendwelchen Schubladen
vergammeln, weil sich jemand nicht getraut
hat und die Unterstützung anderer Leute fehlt.
mediakompakt: Ihr habt Euch durch Crowdfunding
finanziert. Kannst Du uns erläutern, was sich hinter
Crowdfunding verbirgt?
Laura: Es bedeutet, ein Projekt der Öffentlichkeit
zu präsentieren oder zur Verfügung zu stellen. Es
wird tatsächlich von der Crowd entschieden, ob
die Kampagne startet oder nicht. Für uns ist das
die eigentliche Definition von Empowerment, da
der Markt bestimmt, ob eine Idee Potenzial besitzt
oder nicht. Das Geld wird erst ausgezahlt, wenn
die Funding- Summe, die man selbst festgelegt
hast, erreicht wurde. Wir hatten dies erreicht,
konnten die erste Produktion finanzieren und haben
danach einen Kredit bei der Bank bekommen,
da wir nachweisen konnten, dass ein potentieller
Markt vorhanden ist und wir bereits eine Zielgruppe
und erste Bestellungen haben.
mediakompakt: Wie geht es nun weiter?
Laura: Wir haben die Kampagne im Januar erfolgreich
abgeschlossen, im Februar haben wir das
Geld ausgezahlt bekommen, dann haben wir die
Produktion langsam anlaufen lassen.
Die Kunden der Kampagne erhielten bereits ihre
Produkte. Wir haben jetzt einen eigenen Shop.
Mal sehen, wie es auf dem offenen Markt läuft.
Wir hoffen auf mehr Reichweite, viele Verkäufe
Anzeige-A5-Stuttgart_quer 17.06.2021 13:45 Seite 1
Anzeige
Bild: dreamer! fashion
und Umsätze im Online-Shop und hoffentlich
bald auf die nächste Kollektion.
mediakompakt: Wie hebt Ihr euch von anderen
nachhaltigen Labels ab?
Laura: Es ist gut, dass es viele nachhaltige Labels
gibt, die verschiedene Zielgruppen haben. Wir
unterscheiden uns aber in drei Punkten. Erstens:
Wir produzieren im globalen Süden. Denn wir
wollen diese Region unterstützen und nicht im
Stich lassen. Zweitens: Wir sind vor allem eine
soziale Modemarke und achten auf die Arbeitsbedingungen
entlang der Wertschöpfungskette.
Durch Spenden machen wir uns für weitere sozialen
Themen stark. Drittens: Der Style unserer
Produkte – uns ist auffällige und bedruckte Streetwear
wichtig.
Neugierig geworden?
Website: dreamer.fashion
Instagram: dreamer.movement
Podcast: Kindness Starts with why
Zehn Prozent des Umsatzes des Kaufs bei
dreamer! werden vom Start-up an eine Charity
der Wahl gespendet. So kannst du beim
Einkaufen nebenbei etwas Gutes tun.
Gras
ist gut.
Wir entscheiden uns
gegen das Roden
unserer Wälder.
Denn Bäume sind
ein wichtiger
Kohlenstoffspeicher.
Deshalb drucken wir
auf Grasfaserpapier!
Mit nachhaltigem,
ressourcenschonendem
Gras
von heimischen
Wiesen.
Für Sie. Für Stuttgart.
Für die Umwelt.
diegrasdruckerei.de
14 BOLD
mediakompakt
Bild: Norman von der Heyden
Ein Traum im 4x4-Camper
Ganz nach dem Motto: „Ich bin dann mal weg“ machen sich
Kim Sunic und Norman von der Heyden mit Hund Falco im
Gepäck auf den Weg. Die drei haben 2020 mit einem
4x4-Pick-up-Camper ihre große Sehnsucht gestillt.
VON LEA SUNIC
Was kann schöner sein als vor der
Arbeit seinen Morgenkaffee an einem
einsamen Strand zu trinken?
Oder zwischen den Meetings kurz
in den See zu springen? Kim und
Norman leben auf diese Art. Nach dem Kauf ihres
4x4-Camper waren sie meist in Europa unterwegs.
Da Falco für größere Reisen mit seinen elf Jahren
zu alt ist und das Einreisen in andere Länder mit
Haustier Quarantäne bedeutet, will das Paar mit
einer geplanten Weltreise warten, bis Falco sie
verlässt. Auch die Corona-Krise hält sie erst mal
vom Reisen außerhalb Europas ab.
Trotzdem lassen sie sich nicht entmutigen
und packen die Sache nun von einer anderen Seite
an. Während andere im Homeoffice sitzen und
hoffen, dass es mit dem Lockdown und den
Regeln bald vorbei ist, sind die zwei auch im „Homeoffice”,
nur eben im Wheelmote und
genießen die Natur. Die Arbeitgeber der beiden
Grafiker unterstützen Remote Work. Und so fühlt
sich jeder Arbeitstag wie Kurzurlaub an. Doch
auch sie sind natürlich nicht frei von Corona-Regeln.
Herrscht in dem Land, in dem sie gerade
sind, Ausgangssperre um 20 Uhr heißt es: Motor
aus und stehen bleiben.
Ihre nächste Reise durch Spanien müssen Kim
und Norman gut planen. Sie müssen innerhalb
von zwölf Stunden in Spanien sein, da sie sonst
keinen gültigen PCR-Test mehr vorlegen können.
Dort angekommen können sie tatsächlich die
Beine hochlegen, denn dann ist wirklich erst mal
Urlaub angesagt. Die drei verbringen gern Zeit in
der Natur. Sie wandern, zelten oder fahren mit
dem Kanu durch schwedische Flüsse. Sie lieben
die Einsamkeit in der Natur und suchen sich
immer die schönsten, abgelegensten Plätze aus,
weswegen ihre Wahl auch auf einen Pickup mit
Wohnkabine fiel.
So schön das alles klingt, autark Leben hat seine
Schattenseiten. Es kann einem wie Kim und
Norman passieren, dass ihnen erst während der
Reise auffällt, das der Schlüssel zur Wohnkabine
defekt ist. Oder das der Wassertank über Nacht
einfriert. Doch solche Widrigkeiten schrecken sie
nicht ab. Kim: „Entstehen Probleme, lösen wir
diese – im besten Fall. Lassen sich diese Probleme
nicht lösen, müssen wir umdenken und einen
neuen Plan schmieden.” Wichtig sei es, gut zu planen
und realistisch zu bleiben.
Ein Leben im Camper ist befreiend, aber auch
kostspielig. Um sich das finanzieren zu können,
muss man sparen. „Man überlegt sich dann dreimal
ob man wirklich das zweite Paar Sneaker
braucht oder nicht”, sagt Kim Sunic.
Die beiden sind in ihrer Freizeit außerdem dabei,
ihre Website und den Social-Media-Kanal zu
füllen, um Sponsoren zu gewinnen. Social Media
hat noch eine weitere Bedeutung. Einerseits
möchten sie von ihren Reisen berichten und Erfahrungen
teilen. Andererseits möchten sie Tipps
und Gadgets präsentieren, die das Leben im Camper
vereinfachen. So zeigen Kim und Norman ihren
Follower ihre neue Rückfahrkamera und das
super leichte Hundefutter. „Jedes Gramm zählt
beim Reisen“, sagt Norman.
Für alle Nachahmer:
#1: Informiert euch! Probiert alles aus, dann erkennt
ihr was ihr erleben wollt und vor allem wie. Geht
online in verschiedene Foren und sprecht mit
Menschen, die schon viel Erfahrung gesammelt
haben. Jeder fängt mal bei Null an.
#2: Seid mutig. Kommt wie Kim und Norman aus
der Komfortzone und sammelt ganz neue Erfahrungen.
#3: Bleibt realistisch. Es ist nicht immer alles Gold,
was glänzt. Ein Leben im Camper hat viele Vorteile
und ist eine schöne Art die Welt zu entdecken.
Aber wo Vorteile sind, sind auch Nachteile. Aber
wenn ihr einen dieser tollen Momente habt, wo
euch eine sternenklare Nacht in der einsamsten
Ecke Schwedens erwartet, dann ist dieser Gold
wert.
Mehr Inspiration unter: wheelmote.de oder @wheelmote
02/ 2021 BOLD 15
Von Serekunda nach Schluchsee
Tausende Menschen auf der Flucht versuchen jedes Jahr nach Europa zu gelangen. Einige
schaffen es und bauen sich in Deutschland ein besseres Leben auf. Doch die Angst vor
Abschiebung ist ständiger Begleiter. Wie erlebt ein junger Mann aus Gambia diese Situation?
VON CLARA BEUMER
Bild: Adobe Stock
Weltweit fliehen immer mehr Menschen
vor Gewalt, Armut, Hunger,
Diskriminierung und Krieg.
Laut dem Flüchtlingswerk der
Vereinten Nationen (UNHCR)
waren im Juni 2020 mehr als ein Prozent der Weltbevölkerung
auf der Flucht. Das sind 79,5 Millionen
Menschen – ein trauriger Rekord. Wären all
die Flüchtenden ein eigener Staat, wäre es der
zweitgrößte in Europa. In Deutschland ist von
den dramatischen Zuständen wenig zu spüren, da
es die wenigsten bis hierher schaffen. Durch
Grenzschließungen und die Maßnahmen zur Eindämmung
der Pandemie ging die Zahl der Asylsuchenden
in Deutschland 2020 laut des Bundesamtes
für Statistik im Vergleich zum Vorjahr um
35,2 Prozent zurück. So bleibt für viele ein Leben
in Deutschland nur ein Traum.
Für Lamin (Name geändert) aus Gambia hat
sich dieser Traum erfüllt. Ein Traum, für den er
seine Familie, seine Heimatstadt Serekunda und
alles, was ihm vertraut war, zurücklassen musste.
Im Juli 2013 hat er in Hamburg erstmals aufgeregt
deutschen Boden betreten. Heute ist er 26 Jahre
alt und lebt in einem idyllischen Dorf im Hochschwarzwald.
Bis dahin war es ein weiter Weg.
„Viele meiner Freunde kommen aus Gambia”, erzählt
er. Die weite und gefährliche Reise nach Europa
führte durch Senegal, Mali, Niger und
Libyen. Manche würden mit dem Auto von Land
zu Land fahren, andere mit dem Zug. Gehe das
Geld aus, müsse Arbeit gesucht und Geld verdient
werden, das den Flüchtenden in der Wüste
zwischen Niger und Libyen bei bewaffneten Überfällen
oft wieder abgenommen würde.
Und danach? Ist der Weg durch Libyen geschafft,
komme das Meer, das mit unsicheren
Schlauchbooten überquert werden müsse. Alle
kennen die Bilder aus den Nachrichten. „Manchmal
ertrinken alle, manchmal einige und manchmal
schafft es das ganze Boot über das Meer nach
Italien”, sagt Lamin. Obwohl
die Asylanträge laut
UN sinken, ist das Asylsystem
in Italien extrem
überlastet. Die Aufnahmeeinrichtungen
sind teilweise stark überfüllt.
Auch Lamin kennt das: „In Deutschland ist es besser
als in Italien. Doch auch hier landest du
zunächst in einem sehr großen Asylheim und mit
vielen Menschen in einem Raum. Es gibt kein
gutes Essen und wenig Geld.”
Nach drei Monaten sei er in ein anderes Heim
in Karlsruhe gebracht worden, dann in ein Kleineres
im Schwarzwald. Heute hat er eine eigene kleine
Wohnung in Schluchsee. Die Menschen in
dem Zweitausend-Seelen-Dorf behandeln ihn gut,
sagt er. Ganz wohl fühle er sich jedoch nicht. Er
vermisse seine Familie, seine Heimat, erfahre auch
Rassismus und Diskriminierung. Und er habe
Angst. Angst, dass er zurück in seine Heimat geschickt
wird. Gambier*innen werden geduldet,
wenn sie einer Arbeit nachgehen oder eine Ausbildungs-
oder Beschäftigungsduldung anstreben.
Bis vor zwei Jahren war Deutschland ein sicherer
Ort für Menschen aus Gambia. Nachdem 2017 je-
„Since I have peace,
I thank god“
doch der Diktator Yahya Jammeh durch den
demokratischen Adama Barrow ersetzt wurde,
haben die Abschiebungen deutlich zugenommen.
Laut der Zeitung „Rheinische Post“ wurden 2018
siebenmal mehr Gambier abgeschoben als noch
zwei Jahre zuvor.
Vor wenigen Tagen hat Lamin seine Abschlussprüfung
geschrieben. Er ist zufrieden. „Die
Prüfung war okay, ich
warte auf die Ergebnisse”,
sagt er. Früher war es sein
Traum, Fußballprofi zu
werden. Heute möchte er
sich ganz auf seinen Beruf als Kfz-Mechatroniker
konzentrieren. „Since I have peace, I thank god”,
sagt er. Solange er Frieden habe, danke er Gott.
Seine Geschichte ist bewegend, aber leider eine
von vielen. Um in Deutschland Fuß zu fassen, benötigen
viele Menschen Hilfe. In jeder Stadt gibt
es Initiativen, Einrichtungen und Dienste, die
Migrant*Innen und Geflüchtete unterstützen. Es
werden ständig ehrenamtliche Helfer*Innen gesucht,
die geflüchteten Menschen bei Integration
und Bewältigung des Alltags zur Seite stehen.
Refugees in Stuttgart
unterstützen
Weitere Informationen unter:
www.fluechtlinge.stuttgart.de
16 BOLD
mediakompakt
Gen Z im Kampf
um Demokratie
Myanmar liegt fast 8000 Kilometer entfernt. Und
dennoch sind die Demonstrationen dort uns ganz nah.
Die Studentin Yin aus Stuttgart bangt um ihre Familie –
und um die Demokratie in ihrem Heimatland.
VON JOANNA RIETL
Jeden Morgen nach dem Aufwachen
greift Yin als erstes voller Furcht zu ihrem
Smartphone, um die neuesten Nachrichten
aus ihrem Heimatland Myanmar zu
lesen. In den frühen Morgenstunden des
1. Februar 2021 putschte dort das Militär und rief
einen einjährigen nationalen
Notstand aus. Die
im November letzten Jahres
demokratisch gewählte
Präsidentin Aung San
Suu Kyi und weitere Mitglieder
ihrer Partei Nationale
Liga für Demokratie
(NLD) wurden festgenommen.
Seitdem gibt es friedliche Massendemonstrationen
im ganzen Land. Ein Hotspot der
Proteste ist die Wirtschaftsmetropole Yangon im
Süden des Landes, Yins Heimatstadt.
Sie lebt seit Oktober 2020 in Stuttgart, wo sie
Water Engineering studiert. Von dem Putsch hat
„Ein Leben
unter einer Diktatur
ist sinnlos.“
sie aus den Medien erfahren: „Ich konnte es nicht
glauben, bis meine Familie es mir bestätigt hat.
Seitdem lebe ich in der Hölle.“ Sie macht sich Sorgen
um ihr Land, ihre Freunde und ihre Familie,
besonders um ihre Schwester Kyi. Die 21-Jährige
nimmt seit Beginn der Militär-Diktatur an den
Protesten der Bewegung
des zivilen Ungehorsams
(CDM) teil.
Kyi studiert BWL, ihre
Universität in Yangon
ist seit Beginn des Putsches
geschlossen. Über
90 Prozent der Studenten
und Professoren haben
sich den Protesten angeschlossen. Das Militär
plant die Wiedereröffnung der Universitäten, Kyi
wird aber vorerst nicht zurückkehren. „Ich werde
nicht unter einer Militär-Regierung studieren. Ich
gehe nicht an die Uni zurück, bis dieser Kampf
vorbei ist. Mein Kommilitone hat bei einer Demonstration
seine rechte Hand und ein Auge verloren.
Wie könnte ich mich in eine Vorlesung setzen,
während andere für die Demokratie meines
Landes kämpfen?“ Stattdessen geht sie mit tausenden
Gleichgesinnten gegen das Militär auf die
Straße. Darunter sind Ärzte, Lehrer, Bankangestellte
und allen voran die Generation Z, geboren
in den 90er und frühen 2000er Jahren. Die Mehrheit
der Demonstranten ist weiblich. Die Frauen
in Myanmar haben am meisten zu verlieren, berichtet
Kyi. „Sie wurden vor der Demokratie diskriminiert,
so wird es unter der Militärherrschaft
wieder sein. Wir können nicht zurück, sonst verlieren
wir alle Rechte, die wir uns in Zeiten der Demokratie
erkämpft haben.“
Das Motto der jungen Demonstranten: „Ihr
habt euch mit der falschen Generation angelegt“.
Damit spielen sie auf ihre Medienkompetenz an:
Die Generation Z beherrscht die Technologie, versteht
es, Neuigkeiten zu verbreiten und sich über
sozialen Medien zu organisieren. Das Militär hat
darauf mit einer landesweiten Blockade des Internets
sowie des Mobilfunks reagiert, um die Demonstrationen
zu unterbinden. Erfolglos. Doch
das Regime scheut auch vor Waffengewalt nicht
zurück. Es setzt Gummigeschosse, Tränengas,
Blendgranaten und scharfe Munition ein, es wird
blindwütig in die Menge gefeuert.
Regelmäßig finden nächtliche Razzien und
Verhaftungen bei mutmaßlichen Demonstranten
statt. Die Hilfsorganisation für politische Gefangene,
AAPP (Assistance Association for Political
Prisoners) ging im Mai 2021 von 818 Toten und
5400 Inhaftierten aus. Angst hat Kyi trotzdem keine.
„Wir müssen uns gegen das Militär erheben
und es besiegen, ein Leben unter einer Diktatur ist
sinnlos.“
Ein Ausgang zugunsten der Demonstranten
scheint ohne Hilfe von außen unwahrscheinlich.
Die Mitglieder des CDM sind unbewaffnet, der
Westen und die Vereinten Nationen (UN) kritisieren
das Geschehen nur aus der Ferne. Dennoch
sind Kyi und ihre Schwester Yin hoffnungsvoll:
„Wir werden gewinnen, wir sind auf einen Bürgerkrieg
vorbereitet.“ Sie fordern den Tod des Anführers
des Militärs und seiner Anhänger sowie die
Freilassung von Aung San Suu Kyi, die noch immer
an einem geheimen Ort festgehalten wird.
„Suu hat die Demokratie in unser Land gebracht.
Alles, was wir wollen, ist in einer Demokratie zu
leben. Wir wollen in Frieden leben.“
Bild: dpa
INFO
Die Republik der Union Myanmar, das frühere
Burma, ist ein Staat in Südostasien mit rund
54 Millionen Einwohnern. Der Staat wird seit
1962 von einer Militärjunta regiert. Bei Myanmars
erster demokratischen Wahl im Jahr
2011 zog die Politikerin und Friedensnobelpreisträgerin
Aung San Suu Kyi, die zuvor lang
unter Hausarrest stand, mit ihrer Partei NLD
ins Parlament ein und brachte demokratische
Prozesse im Land voran. Bei ihrer Wiederwahl
im November 2020 erreichte sie mehr als 50
Prozent der Stimmen.
02/ 2021 BOLD 17
Satans
letzte Festung
Bild: Unsplash
Ein wagemutiger Missionar brach auf, um ein fremdes Volk zu Gott zu führen.
Er kehrte nie nach Hause zurück. Wir zeichnen seine Geschichte nach.
VON LISA MENTE
Laut der Menschenrechtsorganisation
Survival International gibt es noch 170
isoliert lebende Ethnien auf der Welt.
Sie haben keinen Kontakt zu unserer
Gesellschaft und gelten damit als „unzivilisiert“
– in Deutschland kennt man sie als sogenannte
Naturvölker. Auch die Sentinelesen gehören
zu ihnen. Sie leben auf North Sentinel Island,
einer Insel im indischen Ozean. Ein Betreten von
North Sentinel Island ist unter Strafe verboten.
Das dient vor allem dazu, die Stammesgruppe mit
fast 100 Mitgliedern vor äußeren Einflüssen (vor
allem Krankheiten) zu schützen.
Tausende Kilometer entfernt verpflichtete
sich John Allen Chau seiner Lebensaufgabe: Das
Mitglied der pfingstkirchlichen Glaubensgemeinschaft
Assemblies of God beschloss, als Missionar
die Welt zu bereisen. Zunächst beschränkte er sich
auf die USA und Südafrika, bevor er seine größte
Herausforderung ins Auge fasste – die Missionierung
der Sentinelesen.
Er kontaktierte 2016 die Missionsgesellschaft
All Nations, mit deren Hilfe er sich in den folgenden
zwei Jahren auf seine Aktion vorbereitete. Neben
einer Ausbildung zum Rettungsassistenten,
stellte ein spezielles Trainingslager den Höhepunkt
dar: Mitglieder von All Nations verkleideten
sich als Inselbewohner, die von John Allen
Chau „bekehrt“ werden sollten.
2018 brach er dann nach Indien auf. Chau
wusste um die gesetzlichen Verbote. Er bestach
am 15. November fünf lokale Fischer, um sich
North Sentinel Island nähern zu können. Was in
den folgenden Tagen geschah, lässt sich nur mithilfe
seines Tagebuchs rekonstruieren. Die Heimat
der Sentinelesen beschrieb er darin als „Satans
letzte Festung“.
Das Schriftstück entstand während seiner heiligen
Mission; kurz vor seinem dritten Kontaktversuch
gab Chau es an die Fischer, die es einem
seiner Freunde überbrachten. Es war das letzte
Mal, dass er es in Händen hielt.
Bei seinem ersten Versuch näherte sich der
junge Missionar mithilfe eines Holzbootes der Insel.
Die Sentinelesen lachten ihn aus, als er versuchte,
mit ihnen zu sprechen – dann drohten sie
ihm. Sein zweiter Versuch verlief nicht weniger
erfolglos; im Gegenteil. Während er zur Insel
schwamm, zwang ihn der anhaltende Beschuss
mit Pfeilen zur Flucht. Seine Bibel fing einen Pfeil
auf. Er kehrte zu seinem Kajak zurück und schrieb
ein Gebet in sein Tagebuch: „Wenn du willst, dass
ich angeschossen oder getötet werde, dann soll es
so sein.“
Trotz der Gefahr und des offensichtlichen
Widerstands machte sich Chau ein weiteres Mal
auf den Weg. Die Fischer konnten beobachten,
wie er von den Bewohnern erschossen und im
Sand vergraben wurde. Damit endete seine wagemutige
Reise, die er im Namen des Glaubens angetreten
hatte.
In den USA feierten christlich-evangelikale
Glaubensgemeinschaften den Missionar als Märtyrer.
Sowohl die indische Regierung als auch die
weltlichen Medien verurteilten seinen Einsatz jedoch
als dumm und leichtsinnig. Die selbstdarstellerische
Berichterstattung auf Instagram ließ
Zweifel daran aufkommen, ob es ihm allein um
die Missionierung ging. Chaus Vater nannte die
Missionsarbeit „fanatisch“ – die Schuld am Tod
seines Sohnes gab er nicht den Sentinelesen, sondern
den Kirchen und All Nations.
John Allen Chau wurde für seinen Missionsversuch
mit dem ersten Platz des Darwin-Awards
2018 ausgezeichnet. Ein Negativpreis, der über
Menschen berichtet, die „ein besonderes Maß an
Dummheit“ zeigen. Er wird seit 1994 vergeben.
Bis heute stellt sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit
von Missionsarbeit. Wie weit darf man
gehen, um Menschen zu seinem Glauben zu bekehren?
Die Grenze sollte spätestens dann gezogen
werden, wenn jemand zu Schaden kommen
kann. John Allen Chau übertrat diese Grenze
mehr als einmal und bezahlte mit seinem Leben.
Er wurde 27 Jahre alt. Seine Leiche wurde nie geborgen
und liegt bis heute am weißen Sandstrand
der Insel vergraben.
18 BOLD
mediakompakt
Meine mutigste
Entscheidung!
Ob Abenteuerurlaub oder der Entschluss, die Haare radikal kurz
zu schneiden – jeder hat schon eine einschneidende Erfahrungen
gemacht. Fünf Menschen erzählen ihre fünf Geschichten.
Jede von ihnen bold. Auf ganz eigene Weise.
AUFGEZEICHNET VON SVEN NEIDINGER UND CHARLOTTE KOVAC
„Die Zeit hat mich für mein restliches Leben geprägt.“
Meine mutigste Entscheidung würde ich gleichzeitig als meine Nachhaltigste bezeichnen. Nach dem Abitur habe
ich mich dazu entschieden, ein Freiwilliges Soziales Jahr in einer Werkstatt für behinderte Menschen zu machen.
Dadurch habe ich nicht nur einen ersten Einblick in die Berufswelt erhalten, sondern gleichzeitig auch sehr viel an
Reife dazugewonnen. Die Zeit dort hat mich für mein ganzes Leben geprägt. Meine Entscheidung für eine Werkstatt
für Menschen mit Behinderung hat mich damals schon etwas Überwindung gekostet, aber ich hatte das Gefühl
die gemeinsame Arbeit mit diesen tollen, besonderen Menschen könnte mir nochmal einen anderen Blickwinkel
auf uns Menschen und unser Leben geben. Im Endeffekt war dieser Gedanke genau der Richtige. Ich habe
insgesamt genau ein Jahr dort gearbeitet und auch Dinge, vor denen ich zu Beginn noch etwas Respekt oder gar
Angst hatte, wie z.B. verschiedene Aufgaben im Pflegebereich, gingen mit der Zeit problemlos von der Hand. Ich
kann heute also sagen, dass die Entscheidung, für die ich wirklich Mut aufbringen musste, einen durchweg positiven
und einschneidenden Effekt auf mich und mein Leben hatte. Die vielen herzensguten Menschen, die ich dort
kennenlernen durfte, haben mein Leben auf jeden Fall bereichert und bleiben unvergessen für mich. Diese Erfahrung
hat mich in meinem Denken nachhaltig verändert, weshalb es nicht nur meine mutigste, sondern vor allem
auch eine meiner besten Entscheidungen meines Lebens war.
Daniel Cecura studiert Mediapublishing an der Hochschule der Medien. Nach seinem Abitur entschloss er sich dazu, eine FSJ-
Stelle anzutreten, die ihn als Mensch bis heute nachhaltig beeinflusst hat.
„Keine Sorge, das übernehme ich.“
Am 1. Mai 1979, ich hatte gerade im Alter von 24 Jahren
mein Studium abgeschlossen, wurde ich Vater
einer kleinen Tochter. Sie war das Ergebnis einer typischen
Studentenliebe. Die Mutter war eine Kommilitonin
aus meinem Semester, das Ganze war ungeplant
und ohne Kind hätten sich unsere Wege nach dem
Studium wahrscheinlich getrennt.
In der ersten Zeit nach der Geburt absolvierte ich meinen
Zivildienst und wir teilten uns die Betreuung des
Kindes. Ende Mai 1980 begann die Mutter des Kindes
ein Zeitungsvolontariat, allerdings in einer anderen
Stadt. Wir führten fortan eine Wochenendbeziehung,
unter der Woche kümmerte ich mich um die Kleine.
Völlig überraschend bekam ich im Herbst 1980 ein
Jobangebot für eine Referandariats-Stelle aus Hessen.
Die Mutter meiner Tochter war entsetzt, sie war ja
selbst mitten in ihrem Volontariat und konnte sich
während der Arbeit schlecht um die Kleine kümmern.
Das war der Moment für meine mutigste Entscheidung
und den folgenschweren Satz: „Keine Sorge, das
übernehme ich“.
Ich kümmerte mich fortan also allein um meine Tochter,
neben meiner Arbeit als Referendar in der Schule.
Die Beziehung zu meiner Frau ging kurze Zeit später
auch auseinander. Ein alleinerziehender
Vater war damals eine echte
Seltenheit, mir wurde dennoch
sehr viel Unterstützung von allen
Seiten entgegengebracht. Trotzdem
verlangte mir meine Entscheidung
extreme Disziplin ab,
ich konnte nicht wie andere in
meinem Alter einfach machen auf
was ich Lust hatte, an meiner Seite
war ja immer ein kleines Kind. Die
größte Herausforderung war also
immer, nicht unzufrieden zu werden
und der Kleinen die Schuld zu
geben, dass meine eigenen Bedürfnisse
zu kurz kommen. Heute
kann ich aber ehrlich sagen, diese
Gedanken nie gehabt zu haben
und ich habe meine mutige Entscheidung
von damals nie bereut.
Ulrich Huse war jahrelang Professor und Studiengangsdekan
des Studiengangs Mediapublishing an der Hochschule
der Medien. Eine Reihe unerwarteter Ereignisse führten
direkt nach dem Studium zu einem Satz, der sein Leben für
immer verändern sollte.
Bilder: Privatarchiv der dargestellten Personen
02/ 2021 BOLD 19
„Allein, in einem völlig fremden Land.“
Im Jahr 1992, im Alter von21 Jahren, habe ich ohne jegliche Reiseerfahrung ganz allein eine dreiwöchige
Reise nach Japan unternommen. Angekommen in einem kleinen Küstenort und mit der
Buchungsbestätigung der Jugendherberge – natürlich in japanischer Sprache – in der Hand machte
ich mich vom Bahnhof aus auf die Suche nach meiner Unterkunft. Die nette alte Verkäuferin
eines Antiquitätengeschäfts offenbarte mir zu meinem Entsetzen jedoch, dass es in dieser Stadt gar
keine Jugendherberge gab. Ich war also allein, in einem mir völlig fremden Land, gestrandet auf
der Suche nach einer Unterkunft, ohne Handy und ohne Internet. Ganz zur Belustigung der japanischen
Verkäuferin, die sofort ihre ganze Familie über meine missliche Lage unterrichtete. Ich
wurde mit Tee und Reisbällchen versorgt und nach stundenlangem Telefonieren mit dem zentralen
japanischen Jugendherbergsverband fand die japanische Familie heraus, wo die Jugendherberge
war. Glücklicherweise war ich in dieser kleinen Gasse auf die – laut eigener Aussage – „einzigen
Japaner mit einem Mercedes“ gestoßen, mit dem ich dann freundlicherweise zu meiner Unterkunft
chauffiert wurde. Am Ende ging also alles gut aus, und rückblickend kann ich durchaus sagen,
dass sich meine mutige Entscheidung nach Japan zu reisen, ausgezahlt hat. Sie hat mir geholfen
zu verstehen, wie klein wir Menschen doch auf dieser riesigen Erde sind, und dass man manche
Dinge nicht zu wichtig nehmen sollte. Letztlich hat mir die Reise auch viel Selbstvertrauen gegeben
und mir gezeigt, wie viele nette, hilfsbereite Menschen es auf dieser Welt gibt.
Katrin Hassenstein unternahm während ihres Studiums eine Reise ins weit entfernte Japan, und erlebte dort
eigene Verzweiflung und fremde Hilfsbereitschaft am eigenen Leib. Nach mehrjähriger Tätigkeit als Pressesprecherin
bei der Lufthansa ist sie jetzt Professorin im Studiengang CR/PR an der HdM.
„Ich erntete nicht nur Lob.“
Als Willy Brandt 1969 Bundeskanzler wurde, war ich 26 Jahre alt
und Lehrer an einer Grundschule in einem 600 Einwohner zählenden,
landwirtschaftlich geprägten Dorf. Fast alle Leute waren katholisch,
fast alle wählten CDU. In dieser Zeit wagte Bundeskanzler
Willy Brandt (SPD) neue Schritte in der Ostpolitik, um humanitäre
Erleichterungen für die Menschen in der DDR zu erreichen. Dieses
Vorhaben fand in der Bevölkerung keine ungeteilte Zustimmung.
Als junger Mensch mit 26 Jahren war ich von Willy Brandts Weg
voll überzeugt und trat auch mit Leserbriefen in überregionalen
Zeitungen und Zeitschriften für diese Politik ein. Ich wurde Mitglied
in der SPD, kandidierte für den Kreistag und war bald einer der
drei Juso-Vorsitzenden in einer benachbarten Stadt. Natürlich blieben
meine politische Einstellung und meine Aktivitäten der Einwohnerschaft
meiner 600-Seelen-Gemeinde nicht verborgen. Mir
war klar, dass ich mich auf dünnem Eis bewegte. Erzkatholisch, eine
traditionelle CDU-Wählerschaft in weitem Umkreis, und da der
junge Lehrer mit den revolutionären Ansichten! Ich erinnerte mich
in dieser Zeit, umgeben von einer überwältigenden CDU-Wählerschaft,
an den Afrikaforscher Gustav Nachtigal, der einmal gesagt
hatte: „Wohin ich auch blicke, ich sehe nur Schwarze!“ .Was kam?
Natürlich erntete ich nicht nur Lob, aber das mutige Eintreten für
meine Überzeugung wurde von der Einwohnerschaft mehrheitlich
respektiert und teilweise auch anerkannt. Drohbriefe und sogar
Morddrohungen gab es nur von Leuten, die auf meine überregionalen
Leserbriefe reagierten und mir nahelegten, in den Osten überzusiedeln.
Meine Dorfkinder durfte ich weiter unterrichten, sie als Jugendtrainer
für Fußball begeistern und mit ihren Vätern und Opas
im Männergesangverein singen. Und wenn vor Wahlen die beiden
Lehrer des Ortes einträchtig nebeneinander CDU- und SPD-Plakate
an die Wände hefteten, nahm niemand Anstoß.
Günter Neidinger ist Buchautor und pensionierter Grundschullehrer. In seiner
aktiven Zeit als Lehrer engagierte er sich selbst politisch und trotzte
damit zahlreichen Gegenstimmen, um für seine Überzeugung einzutreten.
„Mutig sein bedeutet
für mich Veränderung.“
Die eine große, mutige Entscheidung habe ich nie getroffen. Dafür eher viele kleine Entscheidungen,
die im Nachhinein betrachtet mutig waren und mich dahin gebracht haben, wo ich jetzt bin. So war
das zum Beispiel auch mit meinem Gap Year – nach dem Abitur bin ich mit meiner besten Freundin
um den halben Globus geflogen. Ich glaube fest an das Konzept der Manifestation – man ruft sich Sachen
bildlich vor Augen und das tritt dann auch so ein. Allerdings glaube ich nicht, dass alles vom
Himmel fällt, man muss auch etwas dafür tun. Mutige Entscheidungen sind für mich die, die einen im
Endeffekt dahin bringen, wo man gerade ist. Wo ich jetzt bin, in Stuttgart, im Studium, mit den Leuten,
die ich kennengelernt habe – ich bin sehr glücklich und zufrieden. Mutig sein bedeutet für mich
vor allem Veränderung. Darum habe ich mir vorgenommen, nie Angst vor Veränderung zu haben,
weil Veränderung etwas Gutes ist. Es bedeutet etwas Neues auszuprobieren und an sich selbst zu wachsen.
Veränderung ist anstrengend, aber genau das macht für mich eine mutige Entscheidung aus: dass
man dem nachgeht was einen glücklich macht, anstatt immer auf der Stelle zu treten.
Selina ist 22 Jahre alt und studiert Crossmedia-Redaktion & Public Relations an der Hochschule der Medien in
Stuttgart. Sie ist Journalistin mit Leidenschaft und davon überzeugt, dass man im Leben alles erreichen kann, was
man sich vornimmt – wenn man nur hart genug dafür arbeitet.
20 BOLD
mediakompakt
Comics in der Masterthesis
Das Studium ist fast abgeschlossen. Alles, was noch fehlt ist die Thesis. Aber ein Thema zu finden
ist nicht einfach. Wie wäre es Comics, Manga und Graphic Novels damit zu verbinden?
VON LISA MEYLE
Es steckt jede Menge Arbeit darin, monatelang
eine Forschungsfrage durch
aufwendige Recherche und mit Zitaten
zu belegen und zu beantworten. Geschweige
denn ein Thema zu finden,
das einen interessiert. Genau vor dieser Aufgabenstellung
stand Lenja Busch am Ende ihres Masterstudiums
in Dramaturgie. Es musste etwas sein,
das sie interessierte, und das Parallelen zwischen
ihren privaten Interessen und dem Studium aufzog.
Sie landete bei ihrer
Langzeit-Faszination
Comic und brachte diese
mit dem Theater zusammen.
Comics kennt jeder –
das sind in aller Regel
gezeichnete Bildergeschichten.
Was Figuren
sagen oder denken, wird
im Comic meist in
Sprechblasen ausgedrückt.
Dazu verdeutlichen
Ausdruckswörter
wie „uff“, „argh“ oder
„zack“ sowie Bewegungsstriche
das Geschehen,
Und sie erzeugen
Dynamik. Bekannte
Vertreter*Innen sind Asterix
und Obelix, Donald
Duck, Wonder Woman
oder Lucky Luke.
Das japanische Äquivalent
heißt Manga und
hat sich mit eigenen
kulturellen Einflüssen
fernab westlicher Werte
entwickelt. Allerdings
sind die oft mehr als 500
Seiten starken Bände in
schwarz-weiß gedruckt,
haben die Länder-typische Leserichtung von
rechts nach links und sind bekannt für ihre äußerst
dynamische Seitenarchitektur. Der Manga
fand einen Teil seiner Dynamik durch die Einflüsse
des Films und wirkt bis heute mit seiner ganz
eigenen Form von Theatralität und Pathos.
Als Graphic Novels werden Erwachsenen-
Comics bezeichnet, die sich durch komplexere
Themen und Ausgestaltungen auszeichnen. Der
Begriff ist in seiner Wirkung ambivalent, so hat er
dem Comic ermöglicht einen Schritt aus den Kinderschuhen
herauszutreten, weist aber zugleich
durch seine Existenz immer wieder auf die Infantilisierung
des Mediums Comic hin.
Für Lenja Busch sind Comics die perfekte Mischung:
sie sind zugänglich und bereiten schwierige
Themen leicht auf, sind dennoch nicht weniger
komplex als ein Roman. Die Klischee-Annahme
ist oft, dass Comics ein „junges Medium“ sind
und sich vor allem für Kinder und Jugendliche
eignen. Aber viele Comics behandeln Themen,
die historische, politische und gesellschaftliche
Debatten aufgreifen und verzaubern durch ihre
beeindruckende visuelle Umsetzung. Für Lenja
Busch steht fest, dass der Comic sich gar nicht beweisen
oder rechtfertigen muss, es handele sich
um ein eigenes Medium, das auf „eigenen, starken
Beinen“ steht.
Die Strategien des Comics im theaterwissenschaftlichen
Kontext zu denken markiert einen
weißen Fleck in der Forschungslandschaft. Die
Quellen, auf die sie ihre Masterarbeit stützt, sind
theaterwissenschaftliche Texte, Comic-Theorie
und -Grundlagenforschung, sowie Dokumentationen,
Museumspublikationen, Interviews und
Lektüre in Englisch und Französisch. Angewandt
hat sie ihre Forschung an zwei Performances, die
sie im Format der Aufführungsanalyse erörtert
hat: „She Legend“ von Jüngst / Rykena und „Sieg
über die Sonne“ von SKART. Durch ihre Arbeit in
der Dramaturgie Kampnagels, einem internationalen
Produktionshaus in Hamburg, hatte sie
direkten Kontakt zu den Performance-Kollektiven
und so einen tiefgreifenden Einblick in deren
Schaffensprozess.
Der Comic, der in ihrer Arbeit im Zentrum
steht, ist selbst heute noch stereotypisch kategorisiert,
von Forscher*Innen als unintellektuell oder
„poppig” angesehen
und in einer Hierarchisierung
der Künste
weiterhin eher unten
angesiedelt. Ihr sei es
wichtig gewesen, mit
ihrer Forschung Einblick
und Anwendungsfelder
aufzuzeigen,
die den Comic
mit allen Facetten und
Möglichkeitsräumen
darstellt, sagt die Studentin.
In ihrem Fazit
betont sie die Nichtigkeit
einer Hierarchisierung
im kulturellen
Kontext und spricht
sich für das Potenzial
einer Gleichstellung
der Künste aus.
Mit seiner visuellen
Arbeit kann er tiefe
Einblicke in Thematiken
und Narrative bieten,
die intensive
Momente in der Rezipierung
liefern. Der
Comic fesselt, lädt ein
breites und diverses
Bild: Lenja Busch
Publikum zum Lesen
ein und bleibt in Erinnerung.
So ist die Masterarbeit von Lena Busch
nicht nur ein gelungener Abschluss ihres Studiums,
sondern ihre ganz persönliche Hommage an
ein unterschätztes Medium.
Leseempfehlungen
Tag X – Setona Mizushiro
On A Sunbeam – Tilly Walden
My Favorite Thing Is Monsters – Emil Ferris
Sumpfland – Moki
02/ 2021 BOLD 21
Comedians: mutig oder dreist?
Komiker verdienen ihr Geld damit, gesellschaftliche Grenzen
auszuloten und zu überspringen. Sie trauen sich, auszusprechen,
was als unhöflich, frech oder beleidigend gilt.
VON MONA SCHENDERA
Die me-too-Bewegung und der
Hashtag #notallmen ist jedem ein
Begriff, auch in Deutschland. Mehr
als 100 Frauen, viele davon aus der
Filmbranche, haben in den vergangenen
Monaten gegen Hollywood-Größen wie
den Schauspieler Bill Cosby und den Produzenten
Harvey Weinstein ausgesagt. Doch nicht nur in
Hollywood ist „me too“ ein Thema. Studien belegen,
dass 97 Prozent aller Frauen in Deutschland
mindestens einmal in ihrem Leben sexuell belästigt
wurden. Eine ernüchternde Statistik, warum
sollte man darüber lachen?
Vielleicht, weil dadurch noch mehr Öffentlichkeit
für dies Themen geschaffen wird. Eines
der besten Beispiele liefert der schottische Comedian
Daniel Sloss, 30. Egal ob Religion, Tod, Liebe,
Trennung oder das Rasieren des Afters – er deckt
alle Themen ab. So auch in seinem Special X. Sloss
spricht im letzten Teil seiner Show die Vergewaltigung
einer guten Freundin durch einen seiner
Freunde an. Ein schwieriges Thema, was vor allem
für Zuschauer*Innen, die möglicherweise betroffen,
schwer auszuhalten ist. Sloss balanciert mit
seiner Performance auf einem schmalen Grat,
doch ihm gelingt es tatsächlich den Witzen Tiefgang
zu geben.
Obwohl er sich 75 Minuten über Sexismus lustig
macht, wandelt er die letzte Viertelstunde seines
Auftritts zu einem TedTalk um. Zur Erläuterung,
TedTalks sind Vorträge oder Präsentationen,
hinter denen eine bestimmte Idee steckt, die
etwas bewirken soll.
„Wenn ich komplett ehrlich zu mir selbst bin,
habe ich fragwürdiges Verhalten bei meinem
Kumpel gegenüber Frauen bemerkt, aber nichts
dagegen getan. Ich dachte, ich bin ja nicht wie er,
deshalb auch nicht Teil des Problems. Diese
Schuld liegt bei mir und meine Freundin muss damit
leben“, gibt Sloss offen zu.
Die Frage bleibt, ob es sinnvoll ist, dieses sensible
Thema auf einer Comedy -Bühne zu präsentieren.
Sloss baut Witze in die Geschichte ein, was
dazu führen könnte, dass sie nicht ernst genommen
wird. Damit verfolgt er jedoch das Ziel, dass
die Gesellschaft und besonders die Männer nicht
mehr wegschauen können. Er nutzt die Aufmerk-
Bilder: Facebook,
und Ashleigh
samkeit, die er sich durch den ersten Teil der Show
aufgebaut hat. Das soll, wie er klarstellt, kein Angriff
gegen Männer sein, doch seine Freundin leihe
ihm ihre Geschichte aus einem bestimmten
Grund, wie er sagt: „Männer werden auf andere
Männer hören, aber nicht auf Frauen.“
Klingt nach einer kühnen Aussage. Die Erklärung
dazu: „Wenn man einen Frosch in kochendes
Wasser schmeißt, hüpft er sofort wieder heraus.
Wenn man ihn aber in kaltes Wasser lässt
und langsam die Temperatur aufdreht, merkt er
den Unterschied nicht.“
Eine Metapher, die ins Schwarze trifft. Kochend
vor Wut war auch die junge Komikerin Kelly
Bachman bei einem Auftritt in New York. Im
Publikum saß Harvey Weinstein. Sie betrat die
Bühne mit den Worten: „Ich bin etwas angespannt.
Ich wusste nicht, dass wir unsere Vergewaltigungspfeifen
mitbringen sollten.“ Die Reaktion
des Publikums unterstreicht die Aussage von
Sloss. Mehrere männliche Stimmen erhoben sich
(„Halt den Mund“) und buhten Bachman aus.
Kelly Bachman hat bewiesen, was Rückgrat bedeutet.
Sie hat ausgesprochen, was keiner der
Männer unter den Zuschauern hören wollte. Sie
wollen nicht alle über einen Kamm geschoren
werden. Und dennoch attackierten sie die Komikerin
und nicht den Hollywood-Produzenten, gegen
den zu dem Zeitpunkt schon mehrere Anklagen
wegen Sexualstraftaten liefen. Komiker brauchen
ein dickes Fell. Sie teilen aus und müssen
sich auf Shitstorms gefasst machen. Dennoch ist
es wichtig, weiter für die Wahrheit einzustehen,
selbst wenn sie in Form von Witzen zu Tage tritt.
Hilfetelefon
Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ bietet
24-Stunden-Unterstützung und ist unter der
Nummer 08000 / 116 016 zu erreichen.
Das Hilfetelefon für „Gewalt gegen Männer“
unter der Nummer 0800 / 1239900.
22 BOLD
mediakompakt
BOLD
WILL
HOLD
Bilder: Studio Butterberg
Bild: Pixabay
Willkommen in einem Beruf, der garantiert unter
die Haut geht. Willkommen im Studio Butterberg.
VON VIVIEN STAIB UND VIVIEN BÜCHELE
Es sind zwei Stufen hinab in das gemütliche
Souterrain-Studio. Der Blick fällt
direkt auf das rot-braune Ledersofa
und die goldene Straußenvogel-Lampe.
Die vielen grünen Zimmerpflanzen
und der helle Orientteppich lassen nicht vermuten,
dass sich hier das Tattoostudio Butterberg
verbirgt. Ann-Denise Gilberg, Jan Schuttack und
Connor Steinert haben sich hier selbst verwirklicht
und im Stuttgarter Süden einen Raum für
Kreativität geschaffen. „Es ging uns darum, den
Raum selbst zu gestalten, etwas zu schaffen, wo
man sich zu Hause fühlt. Das Studio Butterberg ist
wie ein extra Zuhause mit Leuten, die man sich
ausgesucht hat“, beschreibt es Jan Schuttack,
einer der Inhaber des Studio Butterberg.
Der Grund für das besondere Gefühl im Studio
Butterberg sei, dass vergleichbare Tattoostudios
meistens nur einen Besitzer hätten. Hier sind es
drei gleichberechtigte kreative Köpfe, die gemeinsam
arbeiten und gemeinsam entscheiden. Ann,
Jan und Connor haben 2020 das Studio Butterberg
gemeinsam gegründet. Jeder Tätowierer hat
seinen eigenen Platz. Für Mitinhaberin Ann Gilberg
bedeutet dies vor allem Freiheit: „Tätowieren
ermöglicht mir alles, was mir wichtig ist: Reisen,
selbstständig arbeiten und mein eigener Chef zu
sein. Tätowieren ist für viele verirrte Kreative eine
Art Auffangbecken. Für alle, die mit einem Nineto-five-Job
nicht klarkommen.“
Die 32-jährige Quereinsteigerin spricht aus
Erfahrung: Sie hat bereits als Requisiteurin und
Stagehand im Theater gearbeitet, war bei der
Müllabfuhr auf Festivals dabei und hat Basketball-
Böden in der MHP-Arena Ludwigsburg verlegt.
Jan war auf Konzerttourneen für Lichtanlagen zuständig
und im Wizemann Stuttgart als Veranstaltungstechniker.
Erst seit dem Tätowieren fühlen
sich die beiden Künstler angekommen. „Bei den
Jobs davor hat man gewusst, dass es nicht für die
Zukunft ist. Man kommt unverhofft und unkonventionell
zum Tätowieren. Es gibt keinen institutionellen
Weg“, sagt der 34-Jährige. „Es bereitet
Freude, vor allem, wenn ich den Eindruck habe,
dass meine Arbeit Anklang in der Außenwelt findet.
Es geht darum, dass ich etwas tue, was ich
nach außen geben kann.“
„Für mich ist es ganz klar
ein Beruf.“– Ann Gilberg
Trotz der großen Freude, die das Tätowieren
den Künstlern bringt, grenzen sich Ann Gilberg
und Jan Schuttack dennoch ab. Es müsste für Ann
nicht unbedingt Tätowieren sein: „Es könnte
auch Töpfern und Schreinern sein. Generell liebe
ich Lernen. Sollte ich jemals an den Punkt kommen
zu sagen, dass ich beim Tätowieren alles
kann, höre ich wahrscheinlich damit auf.“
Jan strebt ebenfalls nach mehr, er könnte sich
vorstellen, in zehn Jahren Besitzer von mehreren
Läden zu sein: „Tätowieren ist nur ein Schritt dahin,
das Nächste anzupacken. Gerade schreibe ich
mit einem Freund an einem Businessplan für ein
Café. Das Gefühl, hier alles aufzubauen, hat mich
angefixt. Den Schlüssel einzustecken und zu wissen:
Das ist mein Laden, das ist echt cool.“ Ann
teilt dieses Gefühl, sie sagt: „Man muss es einfach
machen. Ich habe schon die größten Idioten was
auf die Beine stellen sehen – bei denen klappt es
auch. Man muss sich einfach trauen.“
Doch noch heute hat man den Eindruck, vorherrschende
Konventionen und Vorurteile halten
sich so hartnäckig wie Tattoos selbst. Auch die Tätowierer
vom Studio Butterberg wurden mit vielen
Vorurteilen konfrontiert, etwa giftiger Tinte
oder dass alle Tätowierten unreif, unvernünftig
und unordentlich seien. Ann widerspricht entschieden:
„Tattoos sind etwas Unschuldiges und
Sinnloses. Man kann sie nicht verkaufen oder ablegen,
sie sind einfach nur für einen selbst. Das ist
eine Entscheidung, die man frei für sich trifft.“
Jan ist derselben Meinung: „Man hat Einfluss
über den eigenen Körper. Keiner kann es dir verbieten.
Es gibt nur wenige Fälle, in denen man das
bereut. So müsste man ja viele Entscheidungen im
Leben bereuen. Vielleicht findest du es nicht
mehr schön, aber das ist alles.“ Für die beiden bedeuten
Tattoos Selbstbestimmung und gleichzeitig
auch, dass man im Leben nicht zurückschauen
sollte: „Man lernt durch Tattoos auch Entscheidungen
im Leben zu treffen. Am Ende des Tages
ist es überhaupt nicht schlimm, wenn das Motiv
einen Zentimeter weiter links ist. Das ist schon alles:
das Leben geht weiter.“
„Bold will hold“, das ist eine Tätowierer-Weisheit
und bedeutet übersetzt: „Dicke Linien werden
halten“. Doch egal ob feine oder dicke Linien, eines
ist sicher: Die Spuren, die Jan Schuttack und
Ann Gilberg auf der Haut hinterlassen, sind nicht
nur sichtbare Kunst, sondern Erinnerungen für
die Ewigkeit.
02/ 2021 BOLD 23
Von links: Ann Gilberg, Connor Steinert, Jan Schuttack
Bilder: Studio Butterberg
Ann Gilberg
Jan Schuttack
Alles begann, als Ann nach einer langen Partynacht
mit einer Nähnadel und Kugelschreibertinte
einen Origami-Kranich auf ihrem Handgelenk
verewigte. Zu Anns Lieblingstattoo auf ihrem Körper
sind unzählige Tattoos dazugekommen. Die
gebürtige Kölnerin ist seit 2016 fester Bestandteil
der Stuttgarter Tattooszene. Gemeinsam mit dem
Handpoke-Artist Connor stach sie ihre ersten Tattoos
in der ehemaligen Calwer Passage, dem Fluxus.
Mit „Handpoke“, das bedeutet nur mit einer
Nadel und Tinte, ohne elektrische Tattoomaschine,
sticht sie erst Freunden, dann Kunden Tinte
unter die Haut. Sanft, langsam und ganz intim.
2019 stieg sie auf eine elektrische Maschine um,
mit der sie seither ebenso erfolgreich ihre Kunst
verewigt. Die 32-Jährige sticht vorwiegend Flashes,
selbstentworfene Tattoos, die einmalig sind.
Die Tätowiererin beschränkt sich nicht nur auf
ein Handwerk: Sie töpfert und bemalt ihre Stücke
selbst, sie schreinert und bedruckt T-Shirts.
Hauptsache kreativ. Ann ist ein autodidaktes Multitalent,
vor der keine Handwerkskunst sicher ist.
Infobox
Der Name Butterberg:
Entstanden durch eine Tombola-Losziehung
in einem Stuttgarter Café.
Namensgebung:
1970 bis 2007 gab es in Westeuropa eine ständige
Überproduktion von Butter, da die
Milchpreise stark gesunken sind. Man konnte
die Butter faktisch häufen, weil so viel produziert
wurde. Es gab Butterberge.
Jan ist das fehlende Puzzleteil, das die Butterbergfamilie
vervollständigt. Er bevorzugt freihändig
florale Muster und legt viel Wert darauf, dass
alle Kunden sich im Butterberg zu Hause fühlen.
Dies kommt besonders mit seiner eloquenten
Wortwahl und lockeren Art zum Ausdruck. Dank
Ann kam er 2019 zum Handpoken, ist mittlerweile
ebenfalls auf Maschine umgestiegen. Der gebürtige
Kornwestheimer befindet sich noch immer in
seiner künstlerischen Findungsphase. Deshalb tätowiert
er nicht ausschließlich Flashes, sondern
nimmt auch Custom-Tattoos an und setzt diese
um. Custom-Tattoos sind Motive, die der Kunde
in Absprache mit dem Künstler erstellt. Sie sind
im Gegensatz zu Flashes zeitaufwendiger und individuell
auf die Wünsche des Kunden angepasst.
Vor dem Tätowieren arbeitete er in der Veranstaltungsbranche,
unter anderem als Lichttechniker
auf Live-Tourneen und im Wizemann. Als Inspirationsquellen
dienen ihm oft die Erfolgsgeschichten
aufstrebender Persönlichkeiten. Nicht
nur für seine Arbeit, sondern auch für das Leben.
24 BOLD
mediakompakt
So aggressiv sind
Hunde wirklich
Das „Gesetz zur Bekämpfung gefährlicher Hunde“ wurde 2009 im Bundestag erlassen.
Es besagt, die Einfuhr, Vermehrung und Abgabe von Listenhunden gegen Entgelt ist verboten.
Doch gibt es tatsächlich Hunderassen, die potenziell bedrohlicher sind?
Oder schürt die Regelung Misstrauen und Angst?
VON SINA CIKAR
Listenhunde, im allgemeinen Sprachgebrauch
fälschlicherweise als „Kampfhunde“
bekannt, sind Hunderassen,
welche im 18. und 19. Jahrhundert für
Hundekämpfe bevorzugt wurden. Dabei
wurden meist Terrier mit Bulldoggen gekreuzt.
Merkmal dieser Kreuzung waren unter anderem
ein stabiles Gebiss und ein kräftiger sowie sportlicher
Körperbau. Der daraus entstandene Bullterrier
wurde in der Anfangszeit gezielt auf das Angreifen
von Artgenossen selektiert, welches die innerartliche
Aggression förderte. Ende des 19. Jahrhunderts
wurde beschlossen, dass Hundekämpfe
und die Zucht von Hunden, welche mit dem Ziel
des Kampfes gezüchtet wurden, verboten werden.
Diese Hunderassen kämpfen schon länger
nicht mehr in Arenen, doch ihr Image in der Bevölkerung
ist noch immer schlecht. Bullterrier-
Rassen werden jahrzehntelang ohne gezielte Selektion
gezüchtet, daher gibt es heutzutage natürlich
Hunde dieser Rassen, die diese negativen Verhaltensweisen
nicht stärker ausgeprägt haben als
andere. Zum Vergleich: der Begriff der Hirtenhunde
trifft ebenso auf mehrere Rassen zu, dennoch
eignen sich nicht mehr alle davon für das Hüten
von Schafen. Wer das Wesen von den Rassen
American Staffordshire Terrier und einem Pitbull
Terrier einmal näher anschaut, dem wird schnell
klar, dass diese Hunde als gutmütig, treu, intelligent,
freundlich und Menschen gegenüber äußerst
anhänglich gelten.
„Der Mensch und
nicht die Rasse
macht den Hund
zum Kampfhund.“
Bild: Cikar
Die aus den USA stammenden
Rassen werden in
Großbritannien und in den
USA als „Nanny-Dog“ bezeichnet,
dort sind sie also
als Familienhunde bekannt.
Doch wie kommt es,
dass spezielle Rassen noch
immer einen schlechten
Ruf haben? In den Jahren zwischen 2000 bis 2005
kam es zu einer starken Zunahme der Medienberichte,
mit dem ein großes öffentliches Interesse
einherging, nachdem es zu einigen Angriffen von
Hunden kam, bei welchen Menschen verletzt und
in manchen Fällen sogar getötet wurden. Die Ereignisse
führten zur Debatte des Gesetzes zur Bekämpfung
gefährlicher Hunde. Seit 2000 gibt es
außerdem die Pflicht, mit Listenhunden den sogenannten
Wesenstest durchzuführen. Dies geschieht
bei Hunden im Alter von sechs Monaten,
15 Monaten und dann jeweils alle vier Jahre. Der
Wesenstest untersucht das Gefahrenpotenzial eines
Hundes, welches von
Sachverständigen
geprüft
wird. Hierbei wird das allgemeine
Hundeverhalten und
das Verhalten in Stresssituationen
im Alltag überprüft.
Laut Dr. Anna Laukner,
Amtstierärztin von Stuttgart,
gibt es im Jahr etwa 70 Wesenstests.
In den letzten drei
Jahren sei dabei nur ein Hund durchgefallen. Es
werden jährlich etwa 30.000 bis 50.000 Verletzungen
durch Hunde erfasst. Die Rassen, welche
die meisten Bissverletzungen zu verzeichnen
haben, sind laut Tierschutzombudsfrau Dr. Barbara
Fiala-Köck und der sogenannten Hundebiss-
Studie, die vom Kinderunfall-Forschungszentrum
durchgeführt wurde, zur Überraschung vieler,
Schäferhunde und Mischlinge. Fakten, die deutlich
belegen, dass eine gefährliche Einstufung
bestimmter Rassen veraltet und kein geeignetes
Instrument zur Wahrung der Sicherheit ist.
Bald soll der Hundeführerschein für alle Hunde
in Deutschland eingeführt werden. Der Sachkundenachweis
soll fünf Praxisstudenten je 90
Minuten und drei Theorie-Blöcke je zweieinhalb
Stunden umfassen. Wie der SWR berichtet, kostet
die Prüfung 200 Euro plus Gebühren. Expertin
Laukner nennt das prinzipiell vorteilhaft, da sich
viele Menschen nicht mit der Hundehaltung auseinandersetzen
und die Körpersprache des Tieres
nicht richtig einschätzen können, was zu Beißvorfällen
führen kann. Jedoch sollten langjährige
Hundebesitzer nicht benachteiligt werden.
In Zukunft wird sich zeigen, ob der allgemeine
Hundeführerschein dazu führt, Beißvorfälle vorzubeugen
und das Image der Listenhunde aufzubessern.
Da viele Menschen diese Tiere mit Beißvorfällen
verbinden, könnte ein Rückgang der allgemeinen
Beißstatistik das Image der Listenhunde
positiv beeinflussen und helfen, dass die Liste
für spezielle Hunderassen abgeschafft wird.
02/ 2021 BOLD 25
Kätzchen gegen
den Corona-Blues?
Bild: Matejka
Die soziale Isolation weckt in vielen Menschen den Wunsch nach einem vierbeinigen
Mitbewohner. Eigentlich schön, aber diesen „Haustier-Boom“ ist kritisch zu betrachten.
Denn Tiere sind kein Frustkauf gegen Langeweile.
VON LEA MATEJKA
Im Corona-Jahr 2020 lebten 1,6 Millionen
mehr Hunde und Katzen in deutschen Haushalten,
als noch im Vorjahr. Tierheime sind
so leer wie nie zuvor und Züchter können
sich vor Anfragen kaum retten. Die Nachfrage
ist riesig. Das kann auch Ingrid Noller bestätigen.
Sie arbeitet seit rund 40 Jahren ehrenamtlich
bei der Katzenhilfe Stuttgart. Gemeinsam mit ihrem
Mann betreut sie hilfsbedürftige Katzen bei
sich zuhause und vermittelt diese an geeignete Besitzer.
Zum Zeitpunkt des Interviews war bei ihr ein
Muttertier mit vier Jungen untergebracht. Unter
normalen Umständen waren es häufig zehn oder
mehr Katzen. „In unserer Auffangstation ist eine
einzige Katze. Das gab es noch nie. Auf die vier
Kleinen habe ich mindestens 80 Anfragen per
Mail bekommen. Vor drei bis vier Jahren war das
noch ganz anders. Da hatten wir bei der Katzenhilfe
80 Katzen und 3 Leute mit Interesse. Das war
total umgekehrt.“ erklärt sie. Sie vermutet, dass
dies klar dem Corona-Lockdown geschuldet sei.
Mehr Zeit, Home-Office und Einsamkeit spielen
eine Rolle. „Hoffen wir, dass die nicht alle wieder
zurückkommen.“ Dann wären die Vermittlungen
umsonst gewesen. Wenn Tiere zurückgebracht
werden ist das purer Stress, den die Katzenhilfe
dringend verhindern will. Es wird versucht
immer die beste Entscheidung für das Tier zu treffen.
Der Verein finanziert sich durch Spenden
und verdient im Gegensatz zu Züchtern kein Geld
mit den vermittelten Katzen. Noller vermutet,
dass Züchter momentan großen Auftrieb erleben:
„Niemand hat Katzen, es ist wirklich verrückt.“
Aber ist es überhaupt ethisch Tiere bei Züchtern
zu kaufen? Unter normalen Umständen gibt
es kaum einen vertretbaren Grund, gezüchtete
Katzen zu kaufen. Schließlich sind diese Tiere
meist unkompliziert. Es gibt genug Katzen in Tierheimen
oder bei der Katzenhilfe, die dringend ein
liebevolles Zuhause suchen. Ingrid Nollers erste
Katze war eine gekaufte Perserkatze. Sie wollte mit
ihrer Tierliebe noch einen Schritt weitergehen
und trat der Katzenhilfe bei, um auch für Katzen
etwas zu tun denen es nicht so gut geht wie ihren
eigenen Stubentigern. Heute würde sie keine Katzen
bei Züchtern mehr kaufen.
In einer seltsamen Zeit wie dieser sollte sich jeder
unbedingt die Frage stellen, was echte Tierliebe
ist. Sina Cikar, eine Studentin, die neben zwei
Katzen von der Katzenhilfe seit kurzem auch einen
Hundewelpen hat, findet, dass Tierliebe viel
mit artgerechter Haltung zu tun hat. Gerade Wohnungskatzen
brauchen Spielsachen, Gesellschaft
und frische Luft. Leider hielten viele Leute Tiere
eher aus Egoismus und würden dabei das Tierwohl
aus den Augen verlieren. Denen ginge es
eher um ihr eigenes Wohl.
Aber was sollte bedacht werden, wenn das Bedürfnis
entsteht, sich ein Haustier anzuschaffen?
Alina und Alex, die sich kürzlich ihren ersten
Hund angeschafft haben raten: „Mache dich im
Vorfeld schlau und beantworte dir vor der Anschaffung
die Fragen, die dir eigentlich erst einfallen
würden, wenn das Tier da ist. Und kaufe auf
keinen Fall aus einem Impuls heraus ein Tier.“
Die Katzenhilfe Stuttgart ist eine gute Anlaufstelle
für Leute die zum ersten Mal eine Katze
aufnehmen wollen. Auf der Website gibt es zahlreiche
Tipps zur Katzenhaltung und für das Eingewöhnen.
Die ehrenamtlichen Mitarbeitenden
helfen, die richtige Katze zu finden, und stehen
bei Fragen zur Verfügung. Ingrid Noller sagt, es sei
vor allem wichtig bereit zu sein, für das Tier bis zu
dessen Tod zu sorgen. Wenn man merkt, dass
man das nicht kann, sollte man sich lieber kein
Tier anschaffen und andere Möglichkeiten
suchen die Tierliebe auszuleben
Die Katzenhilfe
Die Katzenhilfe Stuttgart e.V. ist ein Verein, dessen
oberstes Ziel es ist Katzenelend in und
um Stuttgart zu verhindern oder zu lindern.
Sie:
- fangen und kastrieren freilebende Katzen,
um deren Vermehrung einzuschränken
- versorgen kastrierte Wildlinge an Futterstellen
in ganz Stuttgart – ein Katzenleben lang
- ist Anlaufstelle für kranke, misshandelte
und heimatlose Katzen
- vermitteln ausgesetzte und herrenlose Katzen
an verantwortungsvolle Menschen, die
ihnen ein gutes Zuhause geben
Weitere Infos, Tipps und Kontaktadressen
unter: https://katzenhilfe-stuttgart.de/
26 BOLD
mediakompakt
Bild: Pexels
Warum gleich nicht gleich ist
Wir leben in einer gleichberechtigten
Welt. Schließlich
dürfen wir alle wählen,
studieren oder arbeiten,
was wir wollen. Und wir
haben eine Kanzlerin! Doch
hat wirklich jeder gleiche
Chancen auf Gesundheit,
Sicherheit und Erfolg?
VON LAURA EVERS UND SOFIA WILHELM
Wer genauer hinsieht, erkennt, dass
Frauen in vielen Bereichen noch
immer benachteiligt sind. Das
liegt daran, dass wir in einer Welt
leben, in der fast nur Daten über
den vierzigjährigen Durchschnittsmann gesammelt
und zum Maßstab für alle gemacht wurden.
Bemerkbar machen sich die Probleme schon in
kleinen, unbedeutend erscheinenden Bereichen
wie bei der Portionsgröße im Restaurant oder
beim Gang zu den öffentlichen Toiletten.
Dort gibt es meist für Männer- und Frauentoiletten
eine gleichgroße Raumaufteilung, wobei
Pissoirs weniger Platz einnehmen und Männern
innerhalb des Männer-Waschraums mehr Möglichkeiten
bieten, sich zu erleichtern. Dabei ist es
erwiesen, dass Frauen wegen der Periode, zur Begleitung
von Kindern oder hilfsbedürftigen Menschen
und in Folge von Harnwegsinfekten die
Toilette im Schnitt häufiger aufsuchen müssen.
Mussten Frauen früherer Generationen die Erlaubnis
des Ehemannes einholen, um arbeiten gehen
zu dürfen, so scheinen dem weiblichen Geschlecht
in der Wirtschaftswelt heutzutage alle
Wege offen zu stehen. Doch auch hier geben
strukturelle Gewohnheiten eine Richtung schon
bei der Stellenausschreibung vor. Oft werden in
solchen gesellschaftlich männlich assoziierte Begrifflichkeiten
wie „analytisch“ oder „durchsetzungsfähig“
verwendet,
woraufhin viele Frauen
abgeschreckt sind und
sich gar nicht erst bewerben.
Auch Heiraten und
Kinder bekommen, gelten
in der Gesellschaft als
Killer für die Karriere und
werden immer noch als
„Sache der Frau“ abgetan.
Dahingegen müssen
Männer bei einem Jobinterview
keinerlei Rechenschaft
darüber ablegen, wie es mit ihrer Familienplanung
aussieht. Ganz deutlich wird die Ungleichheit
in der Berufswelt anhand des „Gender-
Pay-Gap“, bei dem die Differenz des Bruttostundenlohns
der Frauen mit dem eines Mannes verglichen
wird. Dieser liegt deutlich unter dem des
männlichen Geschlechtes, was bedeutet, dass
eine Frau 2021 im Schnitt 19 Prozent weniger als
ein Mann, der dieselbe Arbeit durchführt,
verdient.
Weitere Probleme des „unsichtbaren“ Geschlechts
entstehen in klimatisierten Räumen. Da
Männer Testosteron produzieren und mehr Muskeln
haben, die den Stoffwechsel anheben, frieren
sie tendenziell auch nicht so schnell wie Frauen.
In der
Automobilbranche
werden Sicherheitstests
in der Regel mit einem
„Standard-Dummy“
durchgeführt.
Die Temperatureinstellungen in klimatisierten
Räumen wie Großraumbüros, dem öffentlichen
Verkehr oder anderen Einrichtungen orientiert
sich jedoch meistens an der optimalen Temperatur
für den Durchschnittsmann. Generell orientiert
sich die Produktentwicklung hauptsächlich
an Daten, die über genau diesen gesammelt wurden,
jeder andere muss lernen, Wege zu finden,
um sich mit den Dingen dieser Welt zu arrangieren.
So haben zum Beispiel
Männer aufgrund
größerer Hände eher die
Chance, als Pianist erfolgreich
zu sein. Denn Frauenhände
sind oft ergonomisch
zu klein, um die
Tasten gleich präzise zu
treffen und tragen aufgrund
der höheren Belastung
eher Probleme, Entzündungen
oder Krankheiten
davon.
Auch beim Thema Sicherheit
und Gesundheit gibt es ganz gravierende
Ungleichheiten. In der Automobilbranche werden
Sicherheitstests in der Regel mit einem „Standard-Dummy“
durchgeführt. Dieser bringt bei
177 Zentimetern 76 Kilogramm auf die Waage.
Das entspricht, wer hätte es gedacht, dem durchschnittlichen
Mann! Menschen, die kleiner, leichter
oder in anderer Art und Weise von diesem Körperbild
abweichen, haben somit ein deutlich höheres
Risiko, bei einem Unfall schwer verletzt zu
werden oder sogar tödlich zu verunglücken.
In der Medizin gilt der weibliche Körper aufgrund
des Zyklus als unberechenbar, weswegen
Tests an männlichen Mäusen gemacht und Medikamente
aufgrund erhobener Daten des Mannes
02/ 2021 BOLD 27
entwickelt werden. Mit diesem Vorgehen kann
aber keine wirksame Medizin für das weibliche
Geschlecht entdeckt werden. Auch die Dosierung
der Medikamente richtet sich nach der Verträglichkeit
eines Mannes ohne Berücksichtigung des
abweichenden Körpergewichts und vor allem der
weiblichen Hormone und Organe.
Auch medizinische Probleme des Mannes wie
zum Beispiel Erektionsstörungen, werden viel
häufiger erforscht als weibliche, wie das Prämenstruelle
Syndrom (PMS). Die Krankenhäuser orientieren
sich also meistens auch an den männlichen
Symptomen einer Krankheit. So kann es vorkommen,
dass eine Frau mit Kraftlosigkeit und Übelkeit
sowie Verdauungsproblemen ins Krankenhaus
kommt und ein Herzinfarkt nicht diagnostiziert
wird, da sich dieser bei Männern in der Regel
durch die typischen linksseitigen Brust- und Armschmerzen
äußert.
Schritte in Richtung einer Welt, in der wirkliche
Chancengleichheit Realität ist, fangen bei der
Möglichkeit auf die Wahl verschiedener Portionsgrößen
in Restaurants und geschlechtsneutralen
Toiletten wie zum Beispiel auch in Flugzeugen an.
Sowohl das Aufbrechen von Stereotypen zur
Gleichberechtigung aller als auch die garantiert
bestmögliche Sicherheit für jeden Körpertyp sollten
im Job und im Privatleben für jeden Menschen
gewährleistet sein. Und der Kampf um
Chancengleichheit für alle Mitmenschen hört
auch noch lange nicht bei der Forderung zur
gleichmäßigen Forschung im Gesundheits- und
Medizinbereich auf. Denn das alles sind Symptome
für ein Problem, das viel größer ist!
Wenn der Prozess der Gleichberechtigung
weiterhin so schleichend vonstattengeht, braucht
es laut dem Weltwirtschaftsforum (WEF) noch
weitere 133 Jahre, bis jeder Mensch wirklich dieselben
Chancen hat. Das Gerüst unserer Welt baut
sich aus Daten auf, in die über die Hälfte unserer
Bevölkerung schlicht und ergreifend nicht mit
einbezogen wurde. Dabei geht es auch nicht nur
um den Nachteil von Frauen. Auch Männer, die
aus dem Durchschnittsraster der von der Gesellschaft
vorgegebenen Norm fallen, sowie Menschen
allgemein, die auf irgendeine Art und Weise
davon abweichen, haben es in bestimmten Bereichen
schwerer und unterliegen zum Beispiel einem
höheren Risiko, bei einem Verkehrsunfall
verletzt zu werden.
Beim Thema Feminismus scheiden sich die
Geister oft, doch das ist längst keine Frauensache
mehr! Feminismus setzt sich genau dafür ein: Eine
chancengleiche Welt für alle! Es geht nicht darum,
jemandem etwas wegzunehmen, um selber
mehr zu haben. Gleichberechtigung schafft neue
Chancen für Männer, die durch gesellschaftliche
Strukturen ständig einem männlichen Idealbild
gerecht werden sollen und dafür ihre eigentlichen
Bedürfnisse zu unterdrücken haben.
Wichtig ist es, die zukünftige Repräsentation
von Frauen und allen Menschen, die dieser bisherigen
Norm abweichen. Besonders da, wo Entscheidungen
gefällt werden. Das Schlüsselwort
für eine gleichberechtigte Welt ist „Bewusstseinsschärfung“.
Das beginnt in kleinen alltäglichen
Dingen wie unserer Sprache. Und es ist notwendig,
gelernte und gewohnte Strukturen zu hinterfragen
und neu zu denken.
Bild: Unsplash
28 BOLD
mediakompakt
The Food Waste Revolution
Mehr als ein Drittel aller Lebensmittel landen im Müll. Das entspricht pro Jahr etwa
1,6 Milliarden Tonnen Food Waste weltweit. Das Impact-Startup „Motatos“ geht seit
mehreren Jahren mit viel Engagement dagegen vor.
VON NADINE TROMMESHAUSER
Auf der ganzen Welt werden Lebensmittel
unnötigerweise verschwendet.
Viel zu oft landet Essen im Müll, ohne
dass darüber nachgedacht wird. Ein
Becher Joghurt, die letzte Tasse Kaffee
oder eine Dose Tomaten, die schon das Mindesthaltbarkeitsdatum
erreicht hat. Darauf möchte
das Impact-Startup „Motatos“ aus Schweden aufmerksam
machen. Es ist derzeit in den vier europäischen
Märkten Schweden, Finnland, Dänemark
und Deutschland präsent. Seit der Gründung
2014 hat Matsmart-Motatos bereits 21.000
Tonnen Lebensmittel gerettet und ist damit ein
Vorreiter in Sachen Lebensmittelrettung. Aber
wie funktioniert das Unternehmen?
Die drei Gründer kaufen Großunternehmen
Lebensmittel mit Schönheitsmakeln, wie zum
Beispiel Fehldrucke oder falschen Verpackung,
sowie saisonale oder überproduzierte Produkte ab.
Damit hilft das Start-up den Großunternehmen
umweltfreundlicher zu werden. Die geretteten
Produkte können im Motatos Online-Shop erworben
werden. Durch den wechselnden Ankauf von
Lebensmitteln erweitert und ändert sich das
Sortiment fortlaufend. Auch Lebensmittel mit
kurzem oder teils überschrittenem Mindesthaltbarkeitsdatum,
die sonst im Müll landen würden,
verkauft das Start-up. Das Datum ist eine Empfehlung
des Herstellers und steht für die Garantie,
dass die Lebensmittel bis zu diesem Zeitpunkt die
gleiche Qualität, wie direkt nach der Produktion
behalten. Meist ist das Produkt aber auch nach
Ablauf des MHD noch genießbar. Dadurch
können zusätzlich Lebensmittel gerettet werden,
da das Start-up Produkte von Lieferanten
annimmt, die im Supermarkt nicht mehr verkauft
werden dürfen.
Der Lebensmitteleinzelhandel stellt nämlich
oft strenge Anforderungen daran, wie lange das
Datum in der Zukunft sein muss. Dies liegt an den
oft langen Logistikketten, die Produkte durchlaufen,
welche viel Zeit kosten. Bei Motatos sind die
Logistikketten kürzer, wodurch die Lebensmittel
mit verkürztem, aber trotzdem ausreichend Puffer
zum Mindesthaltbarkeitsdatum an Kunden verkauft
werden. Motatos achtet nach eigenen Angaben
bei der Auswahl ihrer Produkte auf Lieferwege
und Materialien.
Und sie versprechen, die Zero-Food-Waste-Politik
auf eigenen Produkte anzuwenden. Zusätzlich
zu den geretteten Lebensmitteln bietet das
Unternehmen ausgewählte Produkte unter der
Marke „By Motatos“ an. Ist es überhaupt sinnvoll
noch mehr Produkte auf den Markt zu bringen,
wenn das Ziel ist, die Lebensmittelverschwendung
zu reduzieren? Ja, heißt es von dem Start-up.
Da viele der sonst angebotenen Produkte saisonal
sind, falle es Kunden schwer, den Mindestbestellwert
zu erreichen. Dieser soll den Fußabdruck gering
halten, da sich der Versand eines Paketes für
ein einzelnes Produkt nicht rechnet.
Und wenn seltener bei Motatos eingekauft
wird, bedeutet das, weniger Lebensmittel werden
gerettet. Durch die Ergänzung des Online-Shops
mit Basic-Produkten, wie Nudeln oder Olivenöl,
wird dieses Problem behoben, behauptet Motatos.
Im Zusammenhang mit der Einführung des eigenen
Labels hat das Start-up beschlossen, ein Prozent
seines Bruttogewinns aus allen „By Motatos“-Verkäufen,
mindestens jedoch 10.000 Euro
pro Jahr, an „The Hunger Project“ zu spenden.
Wenn man mal darüber nachdenkt, wird
Nachhaltigkeit oft als etwas Teures oder Kompliziertes
aufgefasst. Motatos ist weder das eine noch
das andere. Alles, was im Shop angeboten wird, ist
unabhängig von seinem Etikett, nachhaltig und
dazu günstig. Seit neuestem enthält die Website
des Unternehmens einen Blog, auf dem sie über
Lebensmittelverschwendung aufklären und
Fortschritte in ihrem Unternehmen transparent
kommunizieren.
Zahlen und Fakten
1,6 Milliarden Tonnen Lebensmittel werden
jedes Jahr weggeschmissen. Dies entspricht
einer Fläche so groß wie China. Dabei leiden
etwa 925 Millionen Menschen weltweit an
Hunger. Allein durch die in Europa unnötig
verschwendeten Lebensmittel könnten 200
Millionen Menschen ernährt werden.
Bilder: Motatos
02/ 2021 BOLD 29
Hilfe suchen – hilft!
Psychische Erkrankungen sind uns nicht neu. Doch trotz zunehmender Aufklärung haben sie
immer noch mit einem enormen gesellschaftlichen Stigma zu kämpfen. Drei Betroffene
erzählen über sich und machen sich stark für mehr Toleranz.
VON CAROLIN LEHMANN
Manche Krankheiten sieht man,
andere nicht. Die, die man nicht
sieht, werden oft immer noch unter
den Teppich gekehrt. Dabei
sind sie genauso legitim wie ein
Schnupfen oder ein gebrochenes Bein. Drei mutige
Frauen erzählen über ihre seelischen Leiden,
wie sie merkten, dass sie Hilfe brauchen und wie
sie diese aufsuchten. Sie appellieren an alle in einer
ähnlichen Situation, den Mut zu haben, sich
helfen zu lassen!
„Ich habe einfach geschrien. In diesem Moment
wusste ich nicht, was los ist, wo ich bin und wer ich
selbst bin. Als ich wieder zur Realität gefunden habe,
wurde mir klar, dass ich Hilfe brauche.“
SIA, 26, Physiotherapeutin, hat neuerdings rote
Haare, geht gern schwimmen und in die Sauna.
Vor einigen Wochen hat sich Sia selbst in eine Klinik
einweisen lassen, da ihre Angststörung und
Panikattacken überhand nehmen. Grund dafür
waren nicht nur die anhaltende Corona-Situation,
sondern, wie sie später auch realisierte, ihre
langjährige Beziehung und familiäre Probleme.
Während dieser Zeit gerät Sias Angst außer Kontrolle.
Nach einem Konflikt mit ihrem Bruder
kann sie die Erkrankung nicht mehr in Schach
halten und verliert die Beherrschung.
Erstmal sucht sich Sia Hilfe in einem Krankenhaus,
dort wird sie nicht ernst genommen. Sie
wird in ein ZfP (Zentrum für Psychiatrie) geschickt,
wird da ebenfalls zurückgewiesen, mit der
Begründung sie sei „nicht krank genug“. In einem
anderen ZfP findet sie doch noch einen Platz. Umgeben
von ihren Ängsten und Problemen, muss
sie lernen, mit diesen umzugehen. Schon jetzt hat
sie viel über sich und ihre Angst gelernt und
glaubt daran, gesund zu werden.
„Ich habe gelernt, dass meine Angst nicht rational
ist. Wenn man sie füttert, wird sie größer
und wenn sie kein Futter bekommt, dann geht sie
irgendwann ein.“
„Ich war fünf Jahre bei meiner Therapeutin. Zuerst
hat es mir wenig geholfen und ich denke, dass es erst
mal vielen so geht, aber dort zu sein und das Gefühl
zu entwickeln, dass man selbst etwas ändern möchte,
braucht seine Zeit.“
ANN, 26, ist Grafikdesignerin. Sie arbeitet zurzeit
als Mediengestalterin. Sie mag koreanisches Essen
und hat drei Monate in Asien verbracht. In ihrer
Freizeit liest sie gerne oder schreibt an ihrem
Buch. Ann litt jahrelang an Depressionen.
Während dieser Zeit beschäftigt sich Ann mit
seelischen Erkrankungen. Sie merkt, dass mit ihr
etwas nicht stimmt. Da sie nicht wusste, was sie
sich antun würde, wenn sie mit ihren inneren Dämonen
weiter allein gelassen wird, ergreift sie die
Initiative und findet online schnell eine Psychotherapeutin.
Bei ihr dauert es drei Jahre bis zur
Besserung. Sie findet ihr Selbstbewusstsein wieder
und sagt ihren Depressionen den Kampf an.
Auf die Frage, was Ann anderen raten würde,
sagt sie: „Man sollte es nicht so lange hinauszögern
bis es einem richtig schlecht geht. Der Weg
zur Besserung ist oft ein langer, je früher man sich
Hilfe sucht, desto besser.“ Heute geht es Ann gut.
Sie ist sehr zuversichtlich, dass es so bleiben wird.
Die Angst, dass ihre Erkrankung zurückkommen
könnte, ist zwar immer da, aber Ann blickt optimistisch
in die Zukunft.
„Bei meiner Therapeutin mache ich eine Verhaltenstherapie.
Es ist anstrengend, sich mit den eigenen
Problemen zu befassen, aber es hilft, mit jemandem
darüber zu sprechen. Bei ihr bekam ich die Diagnose
Borderline-Akzentuierung.“
MAI, 23, studiert Ethnologie in Tübingen. Sie baut
gerade ein Modellflugzeug, malt und zeichnet gerne.
Ihr Weg zur Diagnose war lang. Nach der stressigen
Abiturzeit fällt sie in ein Tief. Sie liegt nur
noch im Bett. Sie merkt, dass sie Hilfe braucht. Eine
Therapie bei einer Jugendtherapeutin bricht
sie ab. Nach der Trennung von ihrem Freund
denkt sie sogar an Suizid. Mai will sich in eine Klinik
einweisen lassen, dort wird sie zweimal zurückgewiesen.
Ein Arzt empfiehlt ihr die Therapeutin,
die sie jetzt behandel. Ab August kann sie
während eines Urlaubssemesters an einer Therapie
gegen die Borderline-Erkrankung teilnehmen.
Sie hofft, so besser mit ihrer Krankheit zurecht zu
kommen. Mai ist es wichtig, offen über psychische
Erkrankungen zu reden. Sie rät, das Ziel,
gesund zu werden, nicht aus den Augen zu verlieren,
denn der Weg zur Besserung sei lang.
Bild: Unsplash
30 BOLD
mediakompakt
Vergessen oder vernachlässigt?
Jugendhilfe in der Pandemie
Schließungen, Einschränkungen,
Lockdowns – die Corona-
Pandemie hat seit März 2020
Auswirkungen auf zahlreiche
Lebens- und Arbeitsbereiche.
Warum wird dabei die Jugendhilfe
vergessen? Ein Interview.
VON CHANTAL AUGELLO
Cedric Kutzli, Jugend- und Heimerzieher
im heilpädagogischen Kinderund
Jugendhilfezentrum Sperlingshof,
betreut acht Jungen im Alter von
zwölf bis 17 Jahren. Er erzählt, welche
Herausforderungen die Pandemie und die Maßnahmen
zur Eindämmung mit sich brachten.
mediakompakt: Wie sah der Alltag vor Corona in
der Wohngruppe aus?
Cedric: An Wochentagen gehen die Jugendlichen
zur Schule. Nach dem Mittagessen im Wohnhaus
erledigen sie ihre Hausaufgaben oder bereiten sich
auf Schularbeiten vor. Einige erhalten Nachhilfeunterricht.
Vor der Pandemie haben sie am Nachmittag
Vereine besucht und sind ihren Hobbys,
etwa Mannschaftssport, nachgegangen. An den
Wochenenden standen meistens Gruppenaktivitäten
und Ausflüge an der Tagesordnung, da sind
wir dann auch mal ins Freibad gegangen, zum Minigolfen
oder ins Museum.
mediakompakt: Was hat sich verändert?
Cedric: Sehr vieles. Die Jugendlichen können keine
Vereine mehr besuchen und somit auch nicht
ihren Hobbys nachgehen. Nachhilfe wird bei uns
hofintern angeboten, deshalb findet das glücklicherweise
statt. Aber die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung,
vor allem während eines Lockdowns,
sind reduziert. Wir haben einen Sportplatz
auf dem Hof, doch außerhalb des Geländes
sind wir wegen der Schließungen von Freizeit
-und Kultureinrichtungen sehr eingeschränkt.
mediakompakt: Wie gehen die Jugendlichen damit
um?
Cedric: Wenn man zu acht in einem Haushalt festsitzt,
macht sich das natürlich bemerkbar. In der
Freizeitgestaltung geht es darum, die Lebensqualität
der Jugendlichen zu verbessern und belastende
Situationen außerhalb vom Hof, in einem sozialen
Umfeld, etwa in der Stadt, zu erproben. Wenn
das nicht möglich ist, stagniert auch der Therapieerfolg
bei den Jungen.
mediakompakt: Geht dir manchmal die Kraft aus?
Cedric: Wir alle sind während der Pandemie vielen
Veränderungen ausgesetzt, die neue Herausforderungen
mit sich bringen. Manchmal ist das schon
anstrengend. Im Vordergrund stehen immer die
Sorgen und Probleme der Kinder. Wir versuchen
das Beste aus der Situation zu machen und kreative
Lösungen zu finden.
mediakompakt: Wie funktionierte die digitale Umsetzung
der Schulaufgaben während Schulschließungen?
Brauchen die Jugendlichen mehr Unterstützung
als zuvor?
Cedric: Die Schüler haben Home-Schooling und
nutzten dafür ihre Handys. Es gibt einen Gruppen-Laptop,
den sich die acht Bewohner teilen
müssen. Manche erhalten Wochenplaner, mit
Aufgaben für die ganze Woche. Jeder Jugendliche
braucht mehr Unterstützung. Doch diese kann
nicht für jeden gewährleistet werden. Manchen
fällt es daher besonders schwer, in der Schule mitzuhalten.
mediakompakt: Die stationäre Jugendhilfe als sozial-
und systemrelevanter Bereich bedarf besonderer
Aufmerksamkeit. Dazu gehören Hilfeplangespräche
und psychologische Unterstützung: Finden
solche Gespräche weiterhin statt?
Cedric: Ja, manchmal digital und nicht in Präsenz.
Aber sie müssen weiterhin stattfinden. Es geht um
die aktuelle Situation des Kindes und Zielsetzungen,
an denen sich die weitere Hilfe für das Kind
orientiert. Sie bilden eine wichtige Grundlage für
die weitere Planung.
mediakompakt: Ärgert es Dich manchmal, dass die
Jugendhilfe weitgehend in der Öffentlichkeit
unbeachtet bleibt?
Bild: Unsplash
Cedric: Ja, weil ich der Meinung bin, dass zu wenig
finanzielle Mittel in diesen Bereich fließen. Die
Kinder- und Jugendhilfe hat viel mehr Aufmerksamkeit
verdient.
mediakompakt: Was müsste sich ändern?
Cedric: Man müsste mehr Menschen an das
Thema heranführen und zeigen, wie wichtig diese
Arbeit für Kinder und Jugendliche ist. Es könnten
mehr Fördergelder vom Staat fließen, das gilt für
den gesamten sozialen Bereich. Unterstützung
durch Spenden aller Art, wie technische Ausstattung,
um den Kindern den bestmöglichen Unterricht
zu ermöglichen, sind immer hilfreich. Der
Sperlingshof ist nur eine von über 37.000 stationären
Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen in
Deutschland, die Kindern und Jugendlichen auch
während Corona ein Zuhause geben und
Zukunftsperspektiven schaffen. Gerade deshalb
sollte die enorm wichtige Arbeit der Kinder- und
Jugendhilfe wertgeschätzt und unterstützt
werden.
Spenden
Kinder- und Jugendheim Sperlingshof e.V.
Sperlingshof 4, 75196 Remchingen
Helft mit Ideen / Projekte zu realisieren und
unterstützt den Sperlingshof:
https://sperlingshof.de/foerdern-spenden/
02/ 2021 BOLD 31
Zwischen Angst und
Perfektionsdrang
Imposter-Syndrom! Was steckt dahinter?
Was kann man dagegen tun? Eine Betroffene
gibt Einblicke in ihre Gedankenwelt.
VON MARINE MORBEDADZE
Jessica, 29, ist als Führungskraft in der Automobil-Zulieferbranche
tätig. Sie hat
sich nach einem erfolgreichen Vorstellungsgespräch
jedoch als Betrügerin gefühlt.
„Das Gespräch lief unglaublich erfolgreich.
Alle waren beeindruckt und wollten
mich im Team haben. Ich war glücklich und habe
zugesagt. Dann aber kamen Ängste und Zweifel
hoch, ob ich die Person bin, die ihre Anforderungen
erfüllen würde. Ich hatte das Gefühl, nicht
kompetent genug für diesen Job zu sein.“
Das Imposter-Syndrom, auch bekannt als
Hochstapler- oder Betrüger-Phänomen, wurde
erstmals in den 1970er Jahren in einem Beitrag
von Pauline R. Clance und Suzanne A. Imes erwähnt,
wo das Syndrom als hauptsächlich weibliches
Phänomen beschrieben wurde. Mittlerweile
ist bekannt, dass Männer genauso betroffen sind.
Jedoch sind Frauen anfälliger dafür, weil bei ihnen
Fehler und Kritik mehr im Fokus stehen als
ihre Erfolge. Zudem zeigen zahlreiche Studien,
dass Frauen ihre Kompetenz oft unterschätzen.
So erging es auch Jessica: „Ich glaubte, den Job habe
ich nur deshalb bekommen, weil ich jemanden
kannte. Oder ich sei bei der Prüfung nur deshalb
gut gewesen, weil die total einfach war. Oder ich
habe das alles nur geschafft, weil ich das richtige
Netzwerk hatte. Das redet man sich letztlich selber
ein. Andere können noch so oft sagen, wie toll
ich bin, wenn es sich jedoch für mich nicht echt
anfühlt, fällt es schwer, einen Erfolg zu genießen.“
Das Phänomen ist eine interne Erfahrung intellektueller
Täuschung, die bei Menschen mit
hohen Leistungen besonders verbreitet und intensiv
zu sein scheint. Obwohl sie nach externen
Maßstäben erfolgreich sind, haben sie das Gefühl,
dass ihr Erfolg auf Zufall, Glück oder große
Anstrengungen zurückzuführen ist und nicht auf
ihren eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen. Die
Betroffenen denken zudem, der Erfolg könne
nicht wiederholt werden, ohne dass sie gigantische
Anstrengungen unternehmen. Sie haben
Angst, es beim nächsten Mal zu vermasseln.
Laut der international bekannten Imposter-
Syndrom-Expertin Valerie Young können die
Ursachen in der Kindheit liegen: „Falsche Botschaften
in der Erziehung können dies auslösen.“
Sie könnten demnach zu einem unerschöpflichen
Perfektionismus führen, wenn zum Beispiel die
Eltern dem Kind ständig sagen, wie klug es sei.
Jessica kann das bestätigen: „Als Kind genügten
mir nie meine Leistungen. Ich hatte ständig das
Gefühl, ich muss mehr erreichen. Ich bin nicht so
klug, wie meine Eltern und Mitmenschen es von
mir denken.“
Wenn einen die Zweifel lebenslang begleiten und
man Erfolge nicht genießen kann, sollte man eine
Lösung finden. Früher wurde das Imposter-Syndrom
als unveränderliches Persönlichkeitsmerkmal
betrachtet. In den letzten Jahren wird es
jedoch als Reaktion auf bestimmte Stimuli und
Ereignisse angesehen, daher gilt es nicht als
psychische Störung. Viele Wissenschaftler sprechen
von einem Imposter-Selbstkonzept, da die
extreme Form des Selbstzweifels nicht als Krankheit
aufgelistet ist.
Jessica hat das Problem für sich erkannt: „Erkenntnis
ist der erste Schritt. Zu sagen, das ist
etwas, was ich mir einrede. Klar, es ist eine Stärke,
es überhaupt zu erkennen und sich einzugestehen.
Vielleicht habe ich die Neigung, mich immer
wieder klein zu machen, mich immer wieder als
nicht gut genug zu empfinden.“
Diese Gedanken sind nach ihrer festen Überzeugung
nicht nur unproduktiv, sondern auch
ungesund. „Ein wichtiger Tipp aus meiner Erfahrung
wäre der, jede Leistung anzuerkennen und
sich selbst dafür zu loben, ganz gleich, wie klein
diese Leistung auch sein mag. So förderst Du
Zufriedenheit und Selbstvertrauen.“
So kommt man weg
vom Imposter-Syndrom
1. Betrachte Dich als „Fortschritt“, anstatt zu
erwarten, auf Anhieb gleich perfekt zu sein.
2. Betrachte Fehler als Lernmöglichkeit und
konstruktive Kritik als Lernanzeiger, um sich
zu verbessern, anstatt sich zu erniedrigen.
3. Sprich mit den Freunden über eigene Imposter-Gefühle.
Sie können dabei helfen, negative
Gedanken zu mildern.
4. Häufe Wissen nicht im Voraus an, sondern
erwirb es dann, auch in der entsprechenden
Tiefe und Gründlichkeit, wenn es nötig ist.
5. Vermeide es, Dich mit Menschen zu vergleichen,
die erfahrener und wissender sind.
So bleibt Dein Selbstwert unbeeinträchtigt.
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mediakompakt
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Cancel Culture:
Debattieren Studierende noch?
Cancel Culture ist auch in
Deutschland immer häufiger
in der Diskussion. Einige bemängeln
sie, andere rechtfertigen
sie. Gemäß Artikel 5 des
Grundgesetzes sind Wissenschaft
und Forschung frei.
Wissenschaftler*Innen warnen,
diese Freiheit sei in Gefahr.
VON VANESSA OLARIU
Was ist Cancel Culture eigentlich?
Der Begriff beschreibt den Versuch,
vermeintliches Fehlverhalten,
anstößige oder diskriminierende
Aussagen oder Handlungen
– oft von Prominenten – öffentlich zu ächten.
Es wird zu einem allgemeinen Boykott dieser
Personen aufgerufen.
Der Zusammenschluss „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“
besteht aus 70 Wissenschaftler*innen,
die sich für ein freiheitliches Wissenschaftsklima
einsetzen. Darunter verstehen sie
eine vielfältige, von gegenseitigem Respekt geprägte
Debattenkultur. Dazu gehört ein institutionelles
Umfeld, in dem niemand aus Furcht vor gesellschaftlichen
und beruflichen Konsequenzen
Forschungsfragen und Debattenbeiträge meidet.
Das gesellschaftliche Klima ist rauer geworden,
es wird immer mehr übereinander geredet
und immer weniger miteinander. Die Mitte ist
schwächer geworden und die Polarisierung stärker.
Das zeigt sich auch im Streit über die
sogenannte Cancel Culture. Der Jenaer Ethikprofessor
Nikolaus Knoepffler übersetzt Cancel
Culture mit Exkommunikation, was für ihn
bedeutet, dass man eine Person vom Gespräch
ausschließt, nicht weiter mit ihr kommuniziert
und sie in Zukunft ignoriert.
Die Politologin Dr. Ulrike Ackermann vom
John Stuart-Mill-Institut in Heidelberg ist die
Leiterin des Netzwerks und setzt sich aktiv für die
Wissenschaftsfreiheit ein, weil die Cancel Culture
mit der Zeit immer politischer, ideologischer und
separatistischer geworden sei. Die Cancel Culture
will definieren, was gesagt werden darf und was
nicht. Wer etwas sagen darf und wer nicht. Das
habe mit dem Ausschöpfen der Meinungsfreiheit
immer weniger zu tun. Die Grenze der Meinungsfreiheit
ist für Knoepffler und Ackermann erst
dann überschritten, wenn das Strafrecht es untersagt,
zum Beispiel die Leugnung des Holocausts.
Doch sind ihre Vorwürfe berechtigt? Deutschland
verfügt laut Studien über eines der höchsten
Level an Freiheit von Wissenschaft und Lehre
weltweit. Die Studie „Is Free Speech in Danger on
University Campus?” widerlegt diese These, im
Hinblick auf das Denken der Studierenden. Das
Ergebnis: Studierende fühlen sich häufig sprach-
02/ 2021 BOLD 33
lich angegriffen. Die Meinungen unter ihnen sind
umstritten. Während einige bestimmte Vorfälle
lediglich als Einzelfälle ansehen, sind andere davon
überzeugt, dass die Meinungsfreiheit eine
dunkle Zukunft mit sich bringt. Spätestens nach
einem kurzen Blick auf die Kommentare in den
sozialen Medien wird klar, dass
die Gesellschaft gespalten ist.
Die gesellschaftliche Mitte ist
schwächer geworden. Die Polarisierung
ist intensiver geworden.
Teilweise entsteht der Eindruck,
als gäbe es nur noch das
eine oder das andere Extrem.
Ganz nach dem Motto: „Wer
nicht hineinpasst, kann weg!“. Inzwischen ist es
wichtiger, wer etwas sagt und wie diese Person
aussieht, als der tatsächliche Inhalt.
In den vergangenen Monaten wurden zahlreiche
Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ausgeschlossen.
Ob Influencer*In, Musiker*In, Politiker*In
oder Professor*In: Die heutige Gesellschaft
ist sensibel und penibel und die Cancel Culture
zieht nur absolute Maßnahmen mit sich. Dabei
stellt sich die Frage, ob die Angemessenheit nicht
im Vorfeld sorgfältig abgewogen werden müsste.
Die Folgen sind nicht selten zu drastisch: Entlassung,
Boykott bis hin zur kompletten Blockade
und Zensur. Es kann sehr schnell passieren, dass
voreilige Urteile gefällt werden und Beschuldigungen
ohne Beweise viral gehen. Das Canceln
hat langanhaltende Folgen für die Betroffenen
und es ist ein schmaler Grat zwischen Sensibilisierung
und Bewertung ohne aussagekräftige Beweise.
Häufig kommt die betroffene Person nicht zu
Wort und muss vorerst untertauchen.
Das respektvolle Debattieren ist durch das
Ausleben der Cancel Culture von vielen verlernt
worden. Allerdings nicht vom Debattierclub der
Hochschule Mainz. Streiten ist ihr Hobby. Der
Debattierclub Johannes Gutenberg e.V. wurde im
Jahr 2002 gegründet. Er ist ein gemeinnütziger
Verein und eine eingetragene Hochschulgruppe
der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz.
Debattiert werden Themen aus Politik und Gesellschaft.
Wie beispielsweise: „Soll es nur noch
autofreie Innenstädte geben?“ oder „Ist der hohe
Stellenwert von Arbeit gut oder schlecht für die
Gesellschaft?“ Bei Wettbewerben und Turnieren
mit Jury wird in Zweier- oder Dreierteams diskutiert.
Wer die Pro- und wer die Contra-Position
einnimmt, wird im Vorfeld ausgelost. Es gibt
grundsätzlich eine 15-minütige Vorbereitungszeit.
An einem Wochenende gibt es drei bis fünf
Debatten. Zu gewinnen gibt es „Ruhm und Ehre“
und Wanderpokale.
Der Club ist der Meinung, dass Debatten vor
allem Spaß machen sollen. Trotzdem haben die
Teilnehmer das Ziel, besser zu werden. Deshalb
gibt es nach jeder Debatte konstruktives Feedback.
Für sie ist es bei Debatten besonders wichtig,
sich in andere hineinversetzen und trotzdem
gleichzeitig im Nachhinein die eigene Meinung
vertreten zu können. Sie setzen sich aktiv für eine
empathische Streitkultur ein. Während der Pandemie
führen sie ihre Debatten über Online-Konferenzen.
Mitmachen darf jeder, der Lust hat. Eine
Streit- und Rede-Kultur und damit urteilsfähige
„Streiten ist
unser Hobby!“
sowie mündige Bürger gehören zu den Grundlagen
einer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft.
Debattieren heißt, Haltung zu zeigen,
Argumente zu gewichten, sie sachlich begründet
zu äußern und auch zu kritisieren.
Debatten erfordern aber auch, sich gegenseitig
aufmerksam zuzuhören, andere
Positionen zu respektieren
und sich präzise auszudrücken.
Je mehr Studierende
zur Debatte angeregt
werden und somit üben, die
entsprechenden Regeln einer
gesunden Streitkultur
einzuhalten, desto eher
werden sie in der Lage sein, ihre Stimme zur Wahrung
der demokratischen Prinzipien zu erheben.
Wo – wenn nicht in der Hochschule – lernen Studierende
zu debattieren, Sichtweisen einzunehmen
und mit Dummheit zu hantieren?
Bild: AdobeStock
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mediakompakt
Kein Platz für Emotionen?
Wir streben ein Leben lang
danach, glücklich zu sein.
Doch die Welt immer von der
positiven Seite zu betrachten,
kann krank machen. Ein
weit verbreitetes Phänomen,
das diesen Namen trägt:
Toxic Positivity.
VON LAURA MAIER
Manchmal meint man es gut und
kann trotzdem nicht helfen. Jeder
kennt das: Der besten Freundin
oder dem besten Freund geht
es schlecht. Aber man selbst kann
nichts tun, was die Situation besser machen würde.
Oft fallen im Alltag dann Floskeln wie: „Ach
komm, das wird schon“. Solche Sprüche hat Mia
(Name geändert) gründlich satt. Die 22-Jährige
studiert seit nun drei Semestern digital. Die Pandemie
hat ihren Alltag völlig verändert. Dabei
bleibt oft auch bei ihr die positive Einstellung auf
der Strecke. „Den ganzen Tag auf den Bildschirm
zu starren und Freunde nicht zu sehen, ist einfach
nur frustrierend. Das hat mich auch psychisch an
meine Grenzen gebracht“, sagt sie. Es wäre ihr
lieber, es würden mehr Menschen in ihrem
Umfeld aussprechen, dass zurzeit vieles einfach
nicht gut läuft.
Was Mia beschreibt, passt zu der englischen
Bezeichnung „Toxic Positivity“, einem vor allem
im englischen Sprachraum geläufigen Begriff.
Toxic Positivity, auf Deutsch giftige Positivität,
meint nicht weniger
„Den ganzen Tag auf
den Bildschirm zu starren
und keine Freunde
zu sehen, ist einfach
nur frustrierend.“
als negative Gefühle
zu verdrängen, abzulehnen
und sich
zwanghaft auf Positives
zu fokussieren.
Wichtig ist die Abgrenzung
zwischen
krankhaft positivem
Denken und gesundem
Optimismus.
Denn eine grundsätzlich
zuversichtliche Denkweise ist ein wichtiges
Werkzeug, um die eigene Resilienz zu stärken.
Soziale Medien sind besonders anfällig für Toxic
Positivity. Hashtags wie #goodvibesonly,
#goodlife, #blessed und #staypositive sind Beispiele
beliebter Hashtags auf Instagram. Darunter
sammeln sich Bilder, die eine Welt zeichnen, auf
der die Sonne das ganze Jahr scheint und selbst eine
weltweite Pandemie noch Grund genug ist,
#blessed zu sein. Auch Mia hat früher selbst Statements
wie diese unter ihre Posts gesetzt. „Solche
Hashtags kommen gut an. Man möchte sich selbst
gut präsentieren, eigentlich logisch, dass mehr
Good Vibes als Realität gezeigt werden“, sagt sie.
Good Vibes erzeugen eben viele Likes.
Das kommt besonders Influencern zugute, die
damit Geld verdienen. Wie bei vielen anderen
auch, hat sich Mias Umgang
mit Social Media
verändert. Sie nutzt
Dienste wie Instagram
und TikTok nach eigenen
Angaben deutlich häufiger
als früher. „Vier bis
fünf Stunden pro Tag am
Handy sind für mich ehrlich
gesagt normal geworden.
Manchmal ist es
deutlich mehr.“
Bereits im Mai 2020, zwei Monate nach Pandemiebeginn
in Deutschland, ist die Nutzung sozialer
Medien um 38 Prozent angestiegen. Doch der
erhöhte Konsum sozialer Medien kann eine verzerrte
Wahrnehmung verstärken. Es kann der Eindruck
entstehen, alle anderen hätten ihr Leben
besser im Griff. Wird zudem vermittelt, es brauche
mehr positives Denken, damit es einem genauso
gut geht, entsteht großer Druck. Eigene Gefühle
werden verdrängt, der Umgang mit sich
selbst droht unehrlich zu werden. Das beste Mittel
dagegen? Sich selbst bewusst machen, wenn man
gerade in die „Good Vibes Only“-Falle getappt ist.
Auch in Deutschland wird Toxic Positivity
immer mehr zum Thema. Anna Maas hat das in
ihrem neu erschienenen Buch „Die Happiness-
Lüge“ beleuchtet. Die Journalistin ist sich der Thematik
mit Einsetzen der Corona-Krise bewusst
geworden, als sie Postings im „Good Vibes
Only“-Stil nur noch wütend gemacht haben.
Maas schreibt von persönlichen Herausforderungen
während der Pandemie, wie zum Beispiel
Existenzsorgen oder einer gecancelten Hochzeit.
Und sie erläutert, wie sie selbst in die Toxic-Positivity-Falle
getappt ist. Ihr Appell: allen Emotionen
Raum geben.
Alle Gefühle willkommen zu heißen, kostet
sicher Mut. Besonders, wenn man sie auch mit
anderen teilt. Und je mehr jeder Einzelne von uns
ehrlich und authentisch auftritt, desto wahrscheinlicher
ist es, dass andere sich anschließen.
Bild: Pexels
Zum Weiterlesen
Anna Maas:
Die Happiness Lüge –
Wenn positives Denken toxisch wird
2021 Eden Books.
200 Seiten
02/ 2021 BOLD 35
Mut, der sich lohnt
Bild: Michelle Rapp
Abenteuer erleben, neue
Kulturen kennenlernen und
interessanten Menschen begegnen
– so hatte ich mir mein
Auslandssemester in Oxford
vorgestellt. Dann erwischte
mich die Pandemie eiskalt.
VON MICHELLE RAPP
Für Studierende, egal in welchem Land,
ist die Pandemie eine Herausforderung.
Wo die Politik sich Gedanken
über Schulen macht, bleiben Universitäten
meist außen vor. Auch in Großbritannien
unterscheidet sich das Studieren nicht
viel von der Situation in Deutschland: Vorlesungen
finden online statt, Kommilitonen lernt man
virtuell kennen und in die Bibliothek darf nur,
wer Hygienemaßnahmen einhält.
Dass ich daher an einem Mittwochnachmittag
mit meinem kompletten Kurs samt Professoren in
Oxfords Stadtzentrum stehen würde, hätte ich
mir nie träumen lassen. Denn begonnen hat mein
Studium an der Oxford Brookes University (OBU)
in Stuttgart. Mit Blick auf den Fernsehturm
studierte ich Media, Journalism and Publishing
vor dem Laptop. Auslandsfeeling? Weit gefehlt!
Daher flog ich im März nach Oxford.
Risikogebiet. Dass ich mir viele Sorgen machte,
war untertrieben. Dennoch ließ ich den Kessel
hinter mir, absolvierte sage und schreibe vier
Corona-Tests und verbrachte vierzehn Tage in
Quarantäne. Auf zehn Quadratmetern keine
einfache Übung, denn am Schlimmsten war die
Eintönigkeit. Isoliert von meinen Mitstudierenden
in einem kleinen Zimmer zu sitzen, ohne vor
Ort Kontakte aufbauen zu können, war hart. Aber
ohne diesen Sprung ins kalte Wasser hätte ich
niemals vor der berühmten Radcliffe Camera
stehen und den Anekdoten meiner Professorin Jane
lauschen können.
Auch für andere, internationale Studierende
haben sich die Mühen gelohnt. Jeder stand vor
seinen eigenen Alltagshürden, doch wir haben sie
alle überwunden: Giada ist seit Januar in Oxford
und studierte Film-Studies an der Oxford Brookes
University. Für sie waren nicht die Quarantäne
und die Isolation ein Problem, sondern die räumliche
Trennung: „Ich musste meinen Partner und
meine Heimat Rom für fünf Monate zurücklassen.
Das war hart. Vor allem, weil ich mit gesundheitlichen
Problemen zu kämpfen habe.“
Der fehlende Kontakt zu anderen Studierenden
sei für sie herausfordernd gewesen, denn: „In
einer fremden Stadt allein zu sein ist total anders.“
Um sich abzulenken, hätten ihr lange Spaziergänge
und ihre Lieblingsband Muse geholfen. Giada
ist stolz, dennoch in Oxford geblieben zu sein: „Es
war nicht einfach, aber insgesamt hat sich das
Semester gelohnt. Ich möchte nach der Pandemie
auf jeden Fall nochmal nach Oxford kommen.“
Für Georgeanna hat sich durch die Pandemie
ebenfalls einiges geändert. Die gebürtige Texanerin
wollte nach Neuseeland, doch da hat ihr das
Virus einen Strich durch die Rechnung gemacht.
Jetzt ist sie wieder an der OBU – zum zweiten Mal.
Als aufsteigende Eiskunstläuferin in den USA war
es für sie ein großes Risiko, nach Oxford zu kommen:
„Es war mir bewusst, dass ich vier Monate
keinen Zugang zu Eisbahnen haben würde. Ich
bin mein ganzes Leben lang Schlittschuh gelaufen.
Das ist die längste Zeit, die ich nicht auf dem
Eis war.“
Am schwierigsten sei es für sie gewesen, andere
Wege zu finden, ihre Kreativität abseits der Eislaufbahn
auszudrücken. Um fit zu bleiben, trainierte
die 22-Jährige jeden Tag im Fitnessstudio.
Der ideale Ausgleich zum digitalen Studium. Wie
Giada fand es auch Georgeanna schwierig, online
mit Kommilitonen zu interagieren. Zwar boten
ihr die digitalen Vorlesungen Flexibilität, einen
Zeitplan fürs Training zu erstellen, optimal fand
sie es allerdings nicht. Den Wechsel nach Oxford
hat sie trotzdem nicht bereut: „Die Stadt ist für
mich zu einem zweiten Zuhause geworden. Wo
ich trainiere, ist mir im Prinzip egal. Und wenn
ich Heimweh nach Texas habe, mache ich mir
einfach Tortillas.“
Mut? Brauchte jeder von uns. Allein im Ausland
zu studieren ist alles andere als einfach – vor
allem während einer Pandemie. Doch zwischen
uralten Colleges in der „Stadt der träumenden
Türme“ zu sitzen und in einem Pub ein Pint zu
trinken, war es allemal wert.
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